IceCube erspäht weitere kosmische Neutrinos – und analysiert ihre Eigenschaften

Südpol-Detektor bestätigt Ursprung energiereicher Neutrinos außerhalb des Sonnensystems

Das IceCube-Observatorium liegt nahe der Amundsen-Scott-Station am Südpol. Bild: The IceCube Collaboration

Spur eines Neutrinos mit einer Energie von 880 TeV im IceCube-Detector. Bild: The IceCube Collaboration

Das Südpol-Observatorium IceCube hat weitere Neutrinos aus den Tiefen des Weltalls registriert und bestätigt damit den kosmischen Ursprung der energiereichsten dieser geisterhaften Elementarteilchen. Die jetzt im Fachjournal „Physical Review Letters“ veröffentlichten Analysen liefern eine unabhängige Bestätigung der vor zwei Jahren publizierten ersten Beobachtung hochenergetischer Neutrinos mit Ursprung außerhalb unseres Sonnensystems. In einer weiteren, von Wissenschaftlern bei DESY geleiteten Studie, die zeitgleich im Fachblatt „The Astrophysical Journal“ erschienen ist, wurden die neuen Daten mit vorherigen Daten kombiniert und wichtige Eigenschaften des astrophysikalischen Neutrinoflusses mit zuvor unerreichter Genauigkeit vermessen.

 

„Dank der Kombination mehrerer unabhängiger Datensätze können wir jetzt nicht nur sagen „Hurra, wir haben Neutrinos gesehen!“, sondern auch mit hoher Genauigkeit vermessen, wie das Energiespektrum dieser Teilchen aussieht und wie hoch der relative Anteil verschiedener Arten von Neutrinos ist, die aus dem Weltraum zu uns kommen“, sagt Markus Ackermann, einer der an der Studie beteiligten DESY-Wissenschaftler. „Dies gibt uns Hinweise auf ihren Ursprung und die physikalischen Prozesse, welche die Neutrinos im Universum erzeugen“, ergänzt Lars Mohrmann, der die Kombination der Datensätze im Rahmen seiner Doktorarbeit bearbeitet hat. „So können wir mit dieser Messung bereits ausschließen, dass die Neutrinos vorwiegend beim Zerfall von Neutronen entstehen.“

Neutrinos sind subatomare Teilchen, die sich quasi ungehindert von Materie durch das Universum bewegen. Ihre Spuren zeigen dadurch direkt auf ihre Quellen. Für extrem hochenergetische Neutrinos wird erwartet, dass diese Quellen die extremsten Bedingungen im Universum besitzen: Riesige Schwarze Löcher oder gewaltige Sternexplosionen, die subatomare Teilchen auf das Millionenfache der Energien beschleunigen, die durch Menschenhand geschaffene Teilchenbeschleuniger wie etwa der Large Hadron Collider LHC am europäischen Teilchenforschungszentrum CERN erreichen können. Diese schnellen Teilchen prasseln beständig als sogenannte Kosmische Strahlung auf die Erde.

„Kosmische Neutrinos sind der Schlüssel zu bisher unerforschten Bereichen unseres Universums und enthüllen möglicherweise die Herkunft der extrem hochenergetischen Kosmischen Strahlung“, erklärt IceCube-Sprecherin Olga Botner von der Universität Uppsala. „Die Entdeckung astrophysikalischer Neutrinos deutet auf den Beginn einer neuen Ära der Astronomie hin.“

Neutrinos können nicht direkt beobachtet werden, stattdessen misst IceCube die Teilchen, die bei der Wechselwirkung der Neutrinos im antarktischen Eis entstehen. Der würfelförmige Detektor, mit einer Kantenlänge von einem Kilometer, registriert auf diese Weise hunderttausend Neutrinos jährlich. Die meisten davon entstehen jedoch in der Erdatmosphäre durch die Wechselwirkung mit der Kosmischen Strahlung. Milliarden sogenannter atmosphärischer Myonen, die bei den selben Wechselwirkungen entstehen, hinterlassen ebenfalls ihre Spuren in IceCube. In all diesen Spuren suchen Forscher nach einigen Dutzend astrophysikalischen Neutrinos, die unser Verständnis des Universums erweitern können.

Die jetzt veröffentlichte IceCube-Analyse benutzt eine bewährte Strategie von Neutrino-Teleskopen: Man schaut auf das Universum durch die Erde hindurch, hierbei filtert unser Planet die umfangreiche Hintergrundstrahlung der atmosphärischen Myonen heraus. Mehr als 35.000 Neutrinos wurden von Mai 2010 bis Mai 2012 innerhalb der gemessenen Daten gefunden. Bei den höchsten gemessenen Energien, oberhalb von  etwa 100 Teraelektronenvolt (TeV), kann die beobachtete Zahl von Neutrino-Ereignissen nicht mehr ausschließlich mit Neutrinos erklärt werden, die in der Erdatmosphäre entstanden sind, sondern weist auf eine astrophysikalische Herkunft hin. Die Analyse aus der Veröffentlichung deutet darauf hin, dass mehr als die Hälfte der bislang registrierten 21 Neutrinos oberhalb von 100 TeV so einen kosmischen Ursprung haben.


Die unabhängige Beobachtung stimmt gut mit vorherigen IceCube-Ergebnissen überein und bestätigt die hohe Rate astrophysikalischen Neutrinos. Obwohl Forscher diese Neutrinos noch immer an wenigen Händen abzählen können, sind die IceCube-Ergebnisse nahe dem theoretischen Maximum, das von Quellen Kosmischer Strahlung zu erwarten ist. Die Intensität des Neutrinoflusses zeigt, dass die Kosmische Strahlung eine effiziente Quelle für Neutrinos ist. Und daher sind Neutrinos das perfekte Werkzeug um die Extreme des Universums zu erforschen.

Die beobachteten hochenergetischen Neutrinos sind eine neue Stichprobe und unabhängig von den ersten Ergebnissen aus dem Jahr 2013, die sich überwiegend auf den südlichen Himmel bezogen. Die aktuelle Suche spezialisierte sich auf sogenannte Myonneutrinos. Diese Neutrinos produzieren ein Myon, wenn sie mit dem Eis interagieren. Dadurch haben sie eine charakteristische Signatur im IceCube-Detektor, durch die sie einfach zu identifizieren sind. Dasselbe Verhalten ist zwar auch von einem atmosphärischen Myon zu erwarten. Da sich der Messbereich aber auf die nördliche Hemisphäre konzentriert, wissen die Forscher, dass die gemessenen Myonen durch Neutrinos entstanden sein müssen.

Diese Neutrino-induzierten Spuren haben eine sehr gute Richtungsauflösung, durch die man ihre Herkunftsrichtung bis auf wenige Grad identifizieren kann. Allerdings konnte noch keine Anhäufung von Neutrinos aus einer bestimmten Richtung in den IceCube-Studien festgestellt werden, die auf eine bestimmte astrophysikalische Quelle hindeuten würde. Der durch IceCube gemessene Neutrinofluss der nördlichen Hemisphäre hat die gleiche Intensität wie der astrophysikalische Fluss der südlichen Hemisphäre. Dies deutet auf die Existenz zahlreicher extragalaktischenr Quellen hin, da sonst die Quellen in der Milchstraße den Fluss um die galaktische Ebene dominieren würden.

IceCube besteht aus insgesamt 5160 lichtempfindlichen Nachweisgeräten, sogenannten Digitalen Optischen Modulen, die an 86 Stahltrossen in bis zu 2,5 Kilometern Tiefe ins Eis eingeschmolzen sind und einen ganzen Kubikkilometer antarktisches Eis ausspähen. Sie vermessen die schwachen Lichtblitze, die eine äußerst seltene Kollision von Neutrinos mit dem antarktischen Eis erzeugt. Eine Detektoranordnung auf der Oberfläche, genannt IceTop, und ein dichter innerer Teildetektor, genannt DeepCore, erhöhen die Beobachtungsfähigkeiten der Messstation und erweitern es zu einer multifunktionalen Detektoranlage.

Das Experiment wird von der internationalen IceCube Collaboration mit Hauptsitz am Wisconsin IceCube Particle Astrophysics Center (WIPAC) an der Universität Wisconsin–Madison (UW-Madison) geleitet. DESY ist zusammen mit neun deutschen Universitäten, die im Rahmen der Verbundforschung vom Bundesforschungsministerium gefördert werden, der zweitgrößte Partner. Das internationale IceCube-Konsortium umfasst 300 Physiker und Ingenieure aus den USA, Deutschland, Schweden, Belgien, Schweiz, Japan, Kanada, Neuseeland, Australien, Großbritannien, Korea und Dänemark.

Originalarbeiten:
"Evidence for Astrophysical Muon Neutrinos from the Northern Sky with IceCube"; M.?G. Aartsen et al. (IceCube Collaboration); "Physical Review Letters", 2015; DOI: 10.1103/PhysRevLett.115.081102

"A combined maximum-likelihood analysis of the high-energy astrophysical neutrino flux measured with IceCube"; M. G. Aartsen et al. (IceCube Collaboration); „The Astrophysical Journal“, 2015; http://arxiv.org/abs/1507.03991