Forschungsteam entdeckt die ersten Neutrinos aus einem Teilchencollider

Die Entdeckung könnte dazu beitragen, die Natur des flüchtigen Teilchens zu verstehen

Der FASER-Detektor befindet sich tief unter der Erde in einem Seitentunnel am LHC in der Nähe des ATLAS-Detektors. Foto: CERN

Ein internationales Forschungsteam hat mit dem FASER-Experiment am Large Hadron Collider LHC in Genf zum ersten Mal Neutrinos nachgewiesen, die von einem Teilchencollider erzeugt wurden, also einem Beschleuniger, an dem Teilchen zur Kollision gebracht werden. Neutrinos sind die am häufigsten vorkommenden Teilchen im Kosmos und spielen eine Schlüsselrolle bei dem Prozess, der Sterne brennen lässt. Durch die neue Methode wollen die Forschenden das Verständnis über die Natur der Neutrinos vertiefen, eine sehr flüchtige Sorte von Elementarteilchen, die erstmals 1956 entdeckt wurde. Die Ergebnisse der Messung wurden am Sonntag in einer Präsentation im Namen der FASER-Kollaboration auf der 57. Konferenz „Rencontres de Moriond Electroweak and Unified Theories“ bekanntgegeben, die zurzeit in Italien stattfindet. Die erste Beobachtung ist der Auftakt für Untersuchungen mit Collider-Neutrinos und ermöglicht es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Phänomene zu untersuchen, die bisher unzugänglich waren.

„Wir haben Neutrinos aus einer völlig neuen Quelle entdeckt, nämlich aus einem Collider, in dem zwei Teilchenstrahlen mit extrem hoher Energie zusammenstoßen, um Neutrinos zu erzeugen“, sagt Jonathan Feng (UC Irvine, Kalifornien, USA), Co-Sprecher der FASER-Kollaboration und einer der vier Initiatoren des Projekts, an dem inzwischen über 80 Forschende aus 22 Partnereinrichtungen beteiligt sind.

Das Experiment FASER (Forward Search Experiment) ist ein Teilchendetektor, der von einer internationalen Gruppe von Physikerinnen und Physikern entwickelt und gebaut und am LHC am CERN in Betrieb genommen wurde. Dort spürt FASER Teilchen auf, die vom LHC erzeugt werden. „Neutrinos sind schon seit mehreren Jahrzehnten bekannt und waren für die Erstellung des Standardmodells der Teilchenphysik sehr wichtig. Aber bisher konnte kein Experiment auch nur ein einziges Neutrino nachweisen, das an einem Collider erzeugt wurde, und auch die größeren Experimente am LHC sind bis heute nicht in der Lage, Neutrinos direkt nachzuweisen. Die erfolgreiche Beobachtung von FASER bedeutet, dass wir jetzt das volle physikalische Potenzial des Colliders ausschöpfen können“, sagt DESY-Theoretiker Felix Kling, einer der drei anderen Wissenschaftler, die das FASER-Experiment zusammen mit Feng 2018 vorgeschlagen hatten. Für Kling, der auch die Simulationen durchgeführt hat, wie viele Neutrinos man von den FASER-Experimenten erwarten kann, ist das erst der Anfang einer neuen Ära: Er ist einer der Leiter des Projekts „Forward Physics Facility“. „In diesem Projekt wollen wir das Neutrinoprogramm am High-Luminosity LHC mit größeren Detektoren fortsetzen und dann Millionen von Neutrinos nachweisen“, so Kling.

FASER selbst ist völlig neu und einzigartig unter den Experimenten zum Teilchennachweis. Im Vergleich zu anderen Detektoren am CERN wie ATLAS oder CMS, mehrere Stockwerke hoch und Tausende Tonnen schwer, wiegt FASER nur etwa eine Tonne und passt genau in einen kleinen Seitentunnel am CERN. Die Entwicklung und der Bau von FASER haben nur wenige Jahre gedauert, wobei Ersatzteile aus anderen Experimenten verwendet wurden.

Die jetzt von FASER nachgewiesenen Neutrinos sind die energiereichsten, die jemals in einem Labor erzeugt wurden. Zusammen mit Astroteilchenexperimenten wie IceCube oder CTA, die Neutrinos eines breiten Energiebereichs messen, die aus den Tiefen des Weltraums auf die Erde prasseln, wird FASER dazu beitragen, die Rolle dieser mysteriösen Teilchen besser zu verstehen.

Außer der Messung von Neutrinos besteht ein weiteres Hauptziel von FASER darin, die Teilchen zu identifizieren, aus denen Dunkle Materie besteht, von der die Physikerinnen und Physiker annehmen, dass sie den größten Teil der Materie im Universum ausmacht, die sie aber noch nie direkt beobachten konnten.

Weitere Informationen
Webseite des FASER-Experiments (auf Englisch)