Neue ATLAS-Beobachtung: Drei verschiedene Bosonen auf einmal

DESY-gesteuerte Analyse des gesamten Datensatzes des letzten LHC-Laufs enthüllt seltenen Prozess

Ein Beispiel für eine Ereignisanzeige von ATLAS, die die Erzeugung von Signaturen zeigt, die die Anwesenheit von W- und Z-Bosonen sowie eines Photons belegen. Diese Ereignisse wurden durch neue Fortschritte bei der Analyse der Daten aus dem LHC-Lauf 2 sowie durch einen neuen und präziseren Wert für die LHC-Luminosität besser sichtbar gemacht. (Bild: ATLAS-Kollaboration)

DESY-Wissenschaftler:innen, die mit Daten aus dem Large Hadron Collider (LHC) am CERN in Genf arbeiten, haben einen seltenen, bisher ungesehenen Prozess aufgedeckt, bei dem drei wichtige Botenteilchen auf einmal erzeugt werden. Anhand eines Datensatzes aus der letzten abgeschlossenen Datensammlung, dem so genannten Run 2, hat das Team statistisch signifikante Beweise für einen Prozess gefunden, der die Beziehung zwischen zwei der vier fundamentalen Kräfte des Universums näher beschreibt: die schwache Kraft und den Elektromagnetismus. Bei diesem Prozess entstehen gleichzeitig die beiden Botenteilchen der schwachen Kraft, die W- und Z-Bosonen, sowie das Photon, das Botenteilchen der elektromagnetischen Kraft.

Die elektromagnetische und die schwache Kraft stehen seit langem in einer engen Beziehung zueinander. Seit der ersten Beschreibung der Allgemeinen Relativitätstheorie haben Theoretiker:innen rückwärts gearbeitet, um herauszufinden, wie die vier fundamentalen Kräfte - Elektromagnetismus, schwache Kraft, starke Kraft und Gravitation - ursprünglich eine einzige theoretische Wechselwirkung bildeten, die aus dem Urknall hervorging. In dieser Arbeit haben Theoretiker:innen errechnet, dass die elektromagnetische und die schwache Kraft als letzte voneinander getrennt wurden, wobei viele experimentelle Ergebnisse diese Berechnungen untermauern. Zu sehen, wie die Teilchen, die Träger dieser Kräfte, die Bosonen, aus einer einzigen Kollision in einer Anlage wie dem LHC hervorgehen und auf ihren Wegen, die sich von der Kollision wegbewegen, miteinander wechselwirken, ist eine solche Beobachtung. Die beiden Bosonen der schwachen Kraft, das elektrisch geladene W und das elektrisch neutrale Z, wurden bereits einzeln mit dem Photon beobachtet, aber bisher wurden noch nicht alle drei zusammen bei einer einzigen Kollision gesichtet.

DESY-Teilchenphysik-Direktorin Beate Heinemann, ATLAS-Wissenschaftlerin und Professorin an der Universität Freiburg, hatte vorgeschlagen, die riesige Datenmenge von Run 2 zu nutzen, um Beweise für die gleichzeitige Erzeugung aller drei Bosonen zu finden. „Wenn man den gesamten Datensatz von Lauf 2 nutzt, kann man seltene Prozesse finden“, sagt Ludociva Aperio Bella, eine DESY-ATLAS-Wissenschaftlerin, die von Heinemann mit der Leitung der Analyse beauftragt wurde.

„Ich bin begeistert, dass wir zum ersten Mal die gleichzeitige Produktion aller drei elektroschwachen Bosonen beobachtet haben“, sagt Heinemann. „Dies ist ein sehr seltener Prozess und war daher erst jetzt, fast 15 Jahre nach dem Start des LHC, möglich. Zu verstehen, wie diese Bosonen miteinander wechselwirken, ist der Schlüssel zum Verständnis unseres frühen Universums.“

Ein Teil der Herausforderung des Ergebnisses bestand darin, die Signaturen der W- und Z-Bosonen und des Photons, mit dem sie gruppiert waren, zu lokalisieren - ein Ergebnis, das sich nicht außergewöhnlich von vielen anderen Spuren von Teilchen unterscheidet, die aus dem Kollisionsort herausgeschleudert wurden. Diese anderen Spuren werden als „Hintergrund“ bezeichnet, und das Analyseteam musste Wege finden, um den Hintergrund so gering wie möglich zu halten, damit sie das gesuchte Signal leichter identifizieren konnten. Dies wurde mit Hilfe neu entwickelter statistischer Methoden erreicht. „Mit komplexeren Techniken, als wir sie je zuvor hatten, können wir die Produktion von Drei-Bosonen erkennen“, sagt Bella.

Entscheidend für den Erfolg des Teams war aber auch ein neu aktualisierter Wert für die Luminosität des LHC. Die Luminosität ist eine Zahl, die die durchschnittliche Anzahl von Protonen bei jeder Kollision beschreibt und die, wenn sie genauer korrigiert wird, die Präzision aller Messungen erhöht. Der neue Luminositätswert wurde im vergangenen Jahr unter intensiver Beteiligung von DESY berechnet und gab dem Team einen zusätzlichen Schub bei der Isolierung der Signaturen der W- und Z-Bosonen und ihres Partnerphotons, nach denen es in den Daten von Lauf 2 gesucht hatte.

Diese Arbeiten ergaben genügend eindeutige Beobachtungen der drei Bosonen zusammen, um eine Beobachtung mit hoher statistischer Signifikanz aufzudecken. Die Ergebnisse wurden mit einer Signifikanz von 6,3 sigma berechnet, wobei 5 sigma der Schwellenwert für eine verifizierte Beobachtung ist. Das bedeutet, dass die Beobachtung der drei Bosonen zu 99,99966 % sicher ist - die Wahrscheinlichkeit, dass das Phänomen irrtümlich beobachtet wurde, liegt bei 3 zu einer Million. Darüber hinaus konnte das Team anhand des Ergebnisses Details über die Kollision messen, die zeigen, wie die drei Bosonen auf einmal erzeugt werden konnten, sowie die Wechselwirkung zwischen den drei Teilchen, während sie sich vom Kollisionspunkt wegbewegten.

„Dies ist wirklich ein entscheidendes Ergebnis für den Abschluss des Standardmodells“, sagt Bella und bezieht sich dabei auf die Theorie, die die Beziehung zwischen drei der vier fundamentalen Kräfte der Physik beschreibt. „Es ist wichtig für die Erforschung der Physik jenseits des Standardmodells, denn wann immer wir einen seltenen Prozess wie diesen beobachten, zwingen wir unsere Theoriekolleg:innen, ihn in einen Kontext zu stellen. Dieser Kontext trägt dazu bei, künftige Ergebnisse viel genauer zu machen, so dass wir wissen, wonach wir suchen müssen. Wenn wir wissen, wie die Multibosonenproduktion abläuft, können wir das Bild besser kontrollieren.“

Die Analyse wurde von DESY-Wissenschaftler:innen geleitet und umfasst auch Forschende der Universität Freiburg.