Neues Leben für ein Ausstellungsstück: Krisztian Peters, Marc Wenskat (beide DESY) und Bianca Giaccone (FNAL) wollen mit Hilfe von Cavities Gravtiationswellen messen. Bild: DESY, Krisztian Peters
Dass Forschungsequipment in Vitrinen und Ausstellungsräumen landet, kommt recht häufig vor: ausrangierte Prototypen, besonders attraktive Teilchendetektoren oder innovative Neuentwicklungen helfen beim Erklären der Wissenschaft und sind technologische Zeitzeugen. Dass hingegen Ausstellungsobjekte von der Vitrine wieder ins Forschungszentrum wandern, kommt eher selten vor. Bei DESY hat allerdings vor kurzem so ein Ausstellungsobjekt sein zweites Leben begonnen: eine bisher in Genua ausgestellte Cavity (ein Hohlraumresonator, der zur eigentlich zur Teilchenbeschleunigung benutzt wird) soll jetzt helfen, Gravitationswellen und Axionen zu finden.
Gravitationswellen sind ein großes Thema in der Astrophysik. Sie öffnen ein neues Fenster auf das Universum, weil sie Phänomene sichtbar machen, die für herkömmlichen Teleskopen (oder Teilchenbeschleunigern) unsichtbar waren. Sie entstehen, wenn riesige Massen – zu Beispiel Schwarze Löcher – kollidieren oder Sterne in Supernovae explodieren. Daraus gehen Gravitationswellen hervor, die den Raum für kurze Zeit stauchen oder strecken, wenn sie durchs Universum fliegen. Diese Veränderungen sind mit herkömmlichen Detektionsmethoden nicht wahrnehmbar, deshalb verwendet man derzeit riesige unterirdische Laser-Spiegel-Aufbauten, die die Raumkrümmung durch Interferenz wahrnehmen können. So wurden sie auch 2015 zum ersten Mal vom LIGO-Experiment nachgewiesen.
Aber es gibt noch eine andere Art, wie man Gravitationswellen in anderen Wellenlängenbereichen nachweisen könnte: mit Hilfe von Cavities. Hier sind es nicht Interferenzen, sondern Frequenzverschiebungen, die eine vorbeiziehende Gravitationswelle aufzeichnen sollen. Ein vor einigen Jahren veröffentlichtes wissenschaftliches Paper hat eine kleine Renaissance in diesem vergessenen Forschungsbereich hervorgerufen, der vor 20 Jahren noch als vielversprechendste Art des Nachweises galt.
Sowohl Forschende von DESY und der Universität Hamburg als auch vom Forschungszentrum Fermilab in den USA interessierten sich plötzlich für die einst von der italienischen Forschungsorganisation INFN in Zusammenarbeit mit dem CERN für diesen Zweck hergestellten Cavity. Beschleunigerphysiker Marc Wenskat und Experimentalphysiker Krisztian Peters leiten das Projekt zusammen. „Wir haben in Genua nachgefragt, ob wir die Cavity nutzen dürften, und unabhängig von uns hat sich zur gleichen Zeit Fermilab auch dort gemeldet“, erzählt er. „So haben wir dann eine Kollaboration aus DESY, Uni Hamburg und Fermilab gebildet, bei der nicht nur Beschleunigerentwicklung und Teilchenphysik, sondern auch Theorie und Astrophysik wichtige Rollen spielen.“ In einem ersten Schritt zu einem ganz neuen Experiment haben sie zunächst die Ausstellungscavity repariert und vermessen.
Dafür musste sie ihre Vitrine in Genua verlassen und den Weg zum DESY-Campus in Bahrenfeld antreten – laut Wenskat der einzige Ort zumindest in Deutschland, an dem man all die Tests und Korrekturen durchführen kann, den das Team für das Aufmöbeln der Cavity brauchte. Die große Expertise in supraleitender Hochfrequenztechnologie, wie sie auch für den European XFEL verwendet wird, lässt sich auch auf Bauteile anwenden, die etwas anders aussehen als die Beschleunigercavities des XFEL. Der Werkstoff ist der gleiche – hochreines Niob, ein Metall, das bei sehr niedrigen Temperaturen supraleitend wird –, nur die Form ist anders: die Gravitationswellen-Cavity besteht aus zwei Zellen im Überraschungsei-Format, die leicht versetzt zueinander aneinandergeschweißt sind. Die Detektionsidee: man speist elektromagnetische Felder in beide Zellen ein, die miteinander in Phase schwingen. Wird durch einen äußeren Einfluss (wie zum Beispiel eine Gravitationswelle) die Form der Cavity für einen winzigen Moment verändert, verändert sich auch das Feld in ihrem Inneren. Dafür muss die Cavity so gut wie möglich vor äußeren Einflüssen geschützt werden, die keine Gravitationswellen sind. Und man muss sie erst einmal genau kennenlernen.
Dafür hat das Team sie zunächst einmal von ihren Transportschäden befreit und dann mechanisch vermessen und „gestimmt“, also in eine Form gebracht, die optimal auf die Frequenz eingestellt ist, die in der Cavity gehalten werden soll. „Man lernt nie mehr über ein System als wenn es nicht funktioniert“, sagt Wenskat. Bei dieser Cavity hat das DESY-Team – momentan bestehend aus den beiden Projektleitern, drei Doktoranden und Expert:innen aus verschiedenen Gruppen bei DESY – in zwei Jahren ausgesprochen viel über das System gelernt.
So viel, dass es bereit war für den zweiten Schritt: weitere Messungen und Anpassungen bei sehr niedrigen Temperaturen. Diese Tests wurden am Fermilab durchgeführt. Jetzt ist die Cavity wieder in Hamburg, damit in ein bis zwei Jahren die ersten wissenschaftlichen Messungen gemacht werden können. „Man soll ja niemals nie sagen, aber wir erwarten nicht, dass wir mit diesem System Gravitationswellen oder Axionen, auf die es auch sensitiv ist, sehen werden“, so Peters. „Diese Messungen werden aber trotzdem von großer Bedeutung für das Fernziel sein.“
Das Fernziel ist ganz neues Experiment: eine eigens angefertigte neue Cavity in einem eigenen Kryostaten, eine Art großer, ultrakalter Kühlschrank, die dann die Suche nach Gravitationswellen noch effizienter angehen kann. Alle Messungen und Tests an dem ehemaligen Ausstellungsmodell sind Schritte auf dem Weg zu „SHOGWAVE“ („Superconducting cavities for the observation of gravitational waves“). So heißt das Experiment, das das Team gern in einigen Jahren auf dem DESY-Campus in Betrieb nehmen möchte.
Originalveröffentlichung:
Lars Fischer et al., First characterisation of the MAGO cavity, a superconducting RF detector for kHz–MHz gravitational waves. Classical and Quantum Gravity May 202542(11)
DOI 10.1088/1361-6382/add8da