Aus der Grundlagenforschung in die Anwendung: Breit einsetzbarer Gasdrucksensor zum Patent angemeldet

Entwicklung zur Marktreife wird durch DESY Generator-Programm gefördert

Die sogenannte Trampolin-Membran aus Siliziumnitrid ist das zentrale Element des Drucksensors. Sie ist 80 Nanometer dick und hat drei Millimeter seitliche Ausdehnung. Foto: DESY, Christoph Reinhardt

Hier ist der Membran-Drucksensor mit faseroptischer Auslesung in einen Halter eingebaut. Eine optische Faser (rot erleuchtet) ist auf eine Membran ausgerichtet. Aluminiumteile verbinden Faser und Membran zu einem kompakten Sensor mit etwa 3 Zentimeter Kantenlänge in jede Richtung. Foto: DESY, Christoph Reinhardt

Seitdem sie 2015 erstmals überhaupt gemessen werden konnten, sind Gravitationswellen, die beispielsweise bei der Kollision von Schwarzen Löchern und Neutronensternen entstehen, eines der heißesten Eisen in der Grundlagenforschung. Wie sich die Erkenntnisse aus dieser Wissenschaft einmal auf unseren Alltag auswirken, kann zurzeit noch niemand sagen. Dass aus dieser Wissenschaft aber auch jetzt schon Entwicklungen hervorgehen, die eine breite Anwendung im Alltag finden könnten, beweist eine Erfindung von DESY-Forscher Christoph Reinhardt aus der ALPS-Forschungsgruppe und Hossein Masalehdan, Doktorand am Institut für Quantenphysik der Universität Hamburg: Sie erfanden einen Drucksensor, der über extrem große Druck- und Temperaturbereiche einsatzfähig ist und als Variante sogar identifizieren kann, welches Gas ihn umströmt. Diese Erfindung, die sie zum Patent angemeldet haben und für die sie gerade mit dem DESY-Innovationspreis ausgezeichnet wurden, wollen sie zusammen mit ihren Arbeitsgruppen in Richtung Marktreife weiterentwickeln. Das DESY-Generator-Programm, eine DESY-interne Anschubfinanzierung für Transferprojekte, fördert diese Entwicklungsarbeiten jetzt.

„Eigentlich ging es um Konzepte zur Kühlung von Gravitationswellendetektoren“, erklärt Christoph Reinhardt den Beginn ihrer Entwicklung. Um deren Empfindlichkeit hochzuschrauben, könnten sie in Zukunft mit Helium auf bis zu minus 260 Grad heruntergekühlt werden. Doch für diesen Einsatzbereich gibt es praktisch keine kommerziellen Drucksensoren. Da half Reinhardt eine Idee, die er aus seiner Doktorarbeit in Montreal mitbrachte: Hier hatte er die Schwingung von Membranen untersucht, die sich in einem zwischen zwei Spiegeln gespeicherten Laserlicht befinden. „So ein System kann man als optische Pinzette verwenden, das ist absolute Grundlagenforschung“, so Reinhardt. Doch schon hier fiel ihm auf, dass die Membranen mit den sie umgebenden Restgasatomen wechselwirkten, auch dann, wenn der Druck sehr gering war. Hieraus entstand die Idee, sie für einen Drucksensor zu verwenden.

In einem Probeaufbau nahmen die Forschenden eine Membran von etwa einem Quadratmillimeter Größe aus Siliziumnitrid, einem keramischen Material mit sehr geringer innerer Reibung. Sie brachten sie mit Hilfe eines Piezokristalls in eine resonante Schwingung. Bei ihren Messungen am Institut für Quantenphysik stellten sie fest, dass das Abklingen der Schwingung sehr genau vom Druck des Gases abhängt, in dem sich die Membran befindet. Dieser Zusammenhang gilt für einen weiten Druckbereich von normalem Atmosphärendruck von ca. 1000 Hektopascal (hPa) bis hinunter zu einem Zehnmilliardstel dieses Drucks (10-7 hPa). „Kein anderer Sensor hat so einen breiten Messbereich“, sagt Reinhardt. Und dabei ist der Sensor noch sehr unkompliziert: Ohne weitere Kalibration, nur aus den Parametern der Membran, weist der Sensor bereits eine Messungenauigkeit von höchstens 15 Prozent auf. Dies und weitere Charakteristika des neuen Sensors stellte die Forschungsgruppe kürzlich in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung vor. „Für eine präzisere Bestimmung der Eigenschaften des Sensors müssen wir erst noch bessere kommerzielle Druckmessgeräte beschaffen“, so Reinhardt.

Als trickreiche Variante kann der Sensor sogar die Moleküle des Gases identifizieren, in dem er sich befindet: Wird die Membran sehr dicht zu einer parallel verlaufenden Wand installiert, wird das Abklingen ihrer Schwingung durch die Masse der Gasmoleküle beeinflusst. Dadurch dass die schwingende Membran in dieser sogenannten „squeeze film“-Technik das Gas quasi hin- und herpumpt, kann man neben dem Druck auch die Masse der so bewegten Teilchen und damit ihre Sorte bestimmen. Eine Anwendung dafür hat Christoph Reinhardt auch gleich parat: „Mit Wasserstoff als Energieträger wird dessen massenhafte Speicherung in vakuumisolierten Tanks ein wichtiges Thema“, erklärt er. „Sollte es in der Isolation ein Leck geben, könnte man mit unserem Sensor sofort sagen, ob von innen Wasserstoff oder von außen Luft einströmt.“ Grund genug für die Entwickler, diese Erfindung beim Europäischen Patentamt anzumelden.

Als nächstes will die Gruppe all die Eigenschaften und möglichen Funktionalitäten des Sensors genauer bestimmen, ihre Erfindung weiterentwickeln und in die Anwendung bringen – gefördert vom DESY Generator-Programm. „Wir möchten einen kompakten Prototypen herstellen, der für den Betrieb unter realistischen Bedingungen konstruiert ist“, so Reinhardt. So soll die Lichteinspeisung zum Messen der Schwingung beispielsweise per Glasfaser erfolgen, falls der Sensor an schlecht erreichbaren oder engen Stellen montiert ist. Weiterhin soll rein elektrisches Auslesen entwickelt werden als komplementärer Ansatz zur optischen Methode.

Doch auch die Grundlagenforschung soll direkt von der neuen Erfindung profitieren, und das nicht nur im Bereich der Gravitationswellendetektion. Bei Einbau des Sensors in das Strahlrohr des Licht-durch-die-Wand-Experiments ALPS II, könnte er die genaue Einstellung des Heliumdrucks in den Lichtspeicherstrecken ermöglichen. Somit ließe sich der Brechungsindex des dortigen Gases gezielt anpassen und die Empfindlichkeit auf Axion-Teilchen mit anderen Massen erweitern.

Originalveröffentlichung
Calibration-less gas pressure sensor with a 10-decade measurement range; C. Reinhardt, H. Masalehdan et al., arxive.org; DOI: 10.48550/arXiv.2309.12044