Die Experimente am größten Beschleuniger der Welt, dem Large Hadron Collider LHC am CERN, erforschen die grundlegenden Elemente des Universums und ihre Wechselwirkungen mit immer höherer Präzision. In Hochpräzisionsmessungen könnten neue Teilchen oder Kräfte jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik als kleine, aber signifikante Abweichungen zwischen theoretischen Vorhersagen und experimentellen Beobachtungen entdeckt werden. Unter maßgeblicher Beteiligung von DESY-Physiker:innen hat die CMS Collaboration am LHC nun eine neue Messung einer entscheidenden Größe, der sogenannten integrierten Luminosität, veröffentlicht und damit einen neuen Maßstab für deren Präzision gesetzt.
Am LHC kollidieren Teilchenstrahlen aus Milliarden von Protonen mit höchsten Energien und hoher Luminosität. Die Luminosität ist ein Maß für die Kollisionsrate: Je mehr Protonen in einem Teilchenpaket sind und je enger die Strahlen gebündelt sind, umso höher ist die Luminosität. Für den Erfolg solcher Collider-Experimente ist es aber nicht nur wichtig, dass die Luminosität möglichst hoch ist, sondern auch, dass ihre Größe möglichst genau bekannt ist. Bisher lagen die typischen Unsicherheiten für die Luminosität bei Experimenten wie CMS bei etwa 2,5 %; ein Wert, der bereits deutlich besser ist, als man es früher für möglich gehalten hätte.
Die CMS Collaboration hat diese Unsicherheit nun schlagartig um einen Faktor zwei verkleinert: Ihre neue Luminositätsmessung ist mit einer Toleranz von 1,2 % das genaueste Ergebnis an einem Hochenergie- und Hochluminositäts-Collider-Experiment für Hadronen, der Teilchenfamilie, zu der auch das Proton gehört. Das Ergebnis wurde von einem Team aus Physiker:innen und Doktorand:innen bei DESY, CERN sowie der Universitäten Princeton, Budapest und Kansas erarbeitet. „Der Dank für diesen Qualitätssprung geht vor allem an die Doktorand:innen und PostDocs, die ausgeklügelte und neue Methoden entwickelt und beharrlich alle Analysen durchgeführt haben, die die Unsicherheiten auf dieses noch nie dagewesene Niveau schrumpfen ließen“, sagt Andreas Meyer, DESY-Wissenschaftler aus der CMS-Gruppe. Die neue Messung ist ein wichtiger Meilenstein für die Suche nach neuen Phänomenen in den Präzisionsmessungen an Hadronen-Collidern. Sie zeigt außerdem, dass das erklärte Ziel erreichbar ist, in der sogenannten High-Luminosity-Ära des LHC ab 2027 die Luminosität mit einer Genauigkeit von 1% zu messen.
Der volle Faktor zwei in der Genauigkeit wird in den jüngsten CMS-Messungen der Produktion von Z-Bosonen, den Botenteilchen der schwachen Wechselwirkung, deutlich. „Mit der neuen Messung werden strengere experimentelle Einschränkungen von theoretischen Vorhersagen möglich“, sagt Joscha Knolle (Univ. Gent), ehemaliger Doktorand bei DESY und ab Herbst 2021 Co-Convener der CMS-Luminositätsarbeitsgruppe.
Im CMS-Experiment werden zur Messung der Luminosität mehrere Detektoren mit unterschiedlicher Technologie eingesetzt, um eine Redundanz und eine Reduktion der Unsicherheit zu erzielen. Für seine jetzt veröffentlichte Präzisionsmessung der Luminosität hat das Team Daten aus dem Jahr 2016 verwendet und akribisch ausgewertet. Als nächstes plant die Gruppe, die neu entwickelten Methoden und Erkenntnisse auf die Daten der Jahre 2017 und 2018 anzuwenden. Parallel dazu wird die nächste LHC-Datennahme, der sogenannte Run-3, vorbereitet. Für Run-3 hat DESY die Elektronik und die Sensoren für den überholten Fast Beam Condition Monitor (BCM1F) in CMS, einen Luminositätsdetektor aus Silizium-Dioden, aufgebaut und getestet. Erklärtes Ziel der Forschenden ist, mit den in dieser Pilotarbeit gewonnenen Erkenntnissen die Kollisionen des LHC noch genauer auszuwerten und die Präzisionsgrenze weiter zu verschieben.
Artikel zur Luminositätsmessung auf der CMS-Webseite (auf Englisch)
Originalveröffentlichung
CMS Collaboration, „Precision luminosity measurement in proton-proton collisions at √s=13 TeV in 2015 and 2016 at CMS“, submitted to EPJC, arXiv:2104.01927