DESY-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die am Belle-II-Experiment in Japan forschen, haben die vierte wissenschaftliche Veröffentlichung an Belle II seit Beginn der Datennahme auf den Weg gebracht. Sie untersuchten den Zerfall von in Kolisionen entstanden B-Mesonen in Kaonen und Neutrinos entstehen - ein seltener, aber hochinteressanter Zerfall. Wenn die Natur nicht so ist, wie es die Theorie vorhersagt, könnten die Forschenden es an diesem Prozess klar erkennen. Bislang haben sie keine Abweichung von den Vorhersagen gefunden – "aber wir stehen erst am Anfang", sagt DESY-Forscher Sasha Glazov.
Vor einigen Wochen sorgte ein Ergebnis des LHCb-Experiments am CERN in Genf für große Aufregung unter Teilchenphysikerinnen und -physikern in aller Welt. Es gab Hinweise darauf, dass die zugrundeliegende Theorie der Teilchenphysik (das sogenannte Standardmodell) ein bestimmtes Verhalten von einer Reihe von Teilchen, die in LHCb beobachtet wurden, nicht erklären konnte. Noch kann man nicht sagen, ob es sich um eine statistische Fluktuation oder eine richtige Entdeckung handelt, aber wenn es sich als Letzteres herausstellt, wäre das eine Sensation. Es könnte bedeuten, dass es mehr Teilchen und andere Wechselwirkungen geben muss als bisher vorhergesagt und entdeckt, so dass die Theorie neu geschrieben oder zumindest erweitert werden müsste.
Der Belle II-Detektor am japanischen Forschungszentrum KEK ergänzt LHCb in vielerlei Hinsicht. Der von LHCb beobachtete Effekt sollte also logischerweise auch in den von Belle II gesammelten Daten auftauchen. Das DESY-Team, bestehend aus Sasha Glazov, zwei Postdocs (Simon Kurz und Slavomira Stefkova) und zwei Doktoranden (Cyrille Praz und Filippo Dattola), wählte nur solche Ereignisse aus, bei denen ein B-Meson – ein Teilchen, das aus einem up- und einem bottom-Quark besteht – erzeugt wurde, das dann in ein Kaon – ein Teilchen, das ein up- und ein strange-Quark enthält – und zwei Neutrinos zerfiel. Die Neutrinos sind für den Detektor unsichtbar, also wurde nach Ereignissen gesucht, die nur das eine Teilchen, das Kaon, zeigen. "Das ist sehr einfach und sehr schwierig zugleich", sagt Glazov – einfach, weil die Ereignisse leicht zu identifizieren sind, und schwierig, weil sie sehr selten und schwer zu entdecken sind.
Bei rund 100 Millionen Ereignissen haben die Forscher etwa 20 Ereigniskandidaten identifiziert, die auf diesen Zerfallsmodus zurückgeführt werden können. Diese sehen aus wie die vom Standardmodell vorhergesagten, d.h. sie unterstützen bisher nicht die Hinweise auf unerwartete Ergebnisse von LHCb. Das kann sich aber ändern, wenn Belle II mehr Daten und damit mehr Statistik sammelt. Der zugehörige Collider SuperKEKB hat bereits den Rekord für die meisten produzierten Kollisionen pro Sekunde gebrochen, so dass in den nächsten Jahren viele Kollisionen zu erwarten sind.
Die Daten, die die Kaon-Ereignisse enthalten, wurden fast ausschließlich während der Pandemie gesammelt, was sie zu einem ganz besonderen Datensatz macht. Normalerweise wäre die internationale Teilchenphysik-Gemeinschaft, die an Belle II beteiligt war, nach Japan gekommen, um in Schichten bei der Datennahme zu helfen. Diese Aufgabe wurde nun hauptsächlich von lokalen Forschern übernommen. Dies war jedoch nur möglich, weil ein großer Teil des Rund-um-die-Uhr-Detektorbetriebs von Belle II an entfernte Standorte in der ganzen Welt verlegt wurde.
Die Veröffentlichung ist auch deshalb ein Meilenstein in der Physikgeschichte von Belle II, weil sie die erste ist, die auf Daten basiert, die mit dem kompletten Detektor gesammelt wurden. Bisherige Analysen hatten Kollisionen verwendet, die von Belle II in einer Vorstufe gesammelt wurden, insbesondere ohne den neuen Pixel-Vertex-Detektor, für dessen Bau, Inbetriebnahme und Datenanalyse DESY federführend verantwortlich ist. Dieser Detektor bildet das Herzstück der Präzisionsmessungen von Belle II und spielte eine wichtige Rolle bei der Auswahl der Signalereignisse.
Eine dritte Neuerung, die einen großen Einfluss auf diese Arbeit hatte und von der die Untersuchung der Belle-II-Daten in Zukunft profitieren dürfte, ist ein neuer Ansatz zur Datenanalyse mit Methoden des maschinellen Lernens. Der "übliche" Weg für diese spezielle Suche wäre gewesen, nach der Energie zu suchen, die *nicht* vorhanden ist, weil die beiden Neutrinos aus dem Zerfall sie sozusagen mitgenommen haben. Danach würde man prüfen, ob ein Kaon am Anfang beteiligt war, um den Zerfall des B-Mesons vollständig zu rekonstruieren. Diese neue Technik sucht direkt nach dem Kaon – ein eigentlich logischer Ansatz, der aber ohne maschinelles Lernen aufgrund der Menge an Informationen, die berechnet werden müssen, unmöglich ist. "Dank der verbesserten Methode, die das DESY-Team entwickelt hat, sollte es möglich sein, die Beiträge der neuen Physik mit einer kleineren Datenstichprobe als ursprünglich angenommen zu bestätigen oder auszuschließen", sagt Glazov. Etwaige Hinweise auf Abweichungen von der Vorhersage wären so leichter zu erkennen.