Neue Emmy Noether-Forschergruppe unter der Leitung von DESY-Theoretiker Johannes Braathen

Emmy-Noether-Gruppenleiter Johannes Braathen. Foto: DESY

Man nehme das, was wir bisher aus Experimenten über das Higgs-Teilchen wissen – also zum Beispiel seine Masse, die Art und Weise, wie es entsteht oder mit anderen Teilchen oder sogar mit anderen Higgs-Teilchenwechselwirkt. Man vergleiche dies dann mit sehr präzisen theoretischen Vorhersagen für dieselben Eigenschaften. So können wir Informationen über Dinge erhalten, die über das hinausgehen, was wir heute wissen oder beobachten können, insbesondere über Phänomene jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik, die derzeit beste Theorie zur Beschreibung der Eigenschaften und Wechselwirkungen der bekannten Teilchen im Universum.

Diese Information wiederum kann Experimentalphysiker:innen Anregungen für neue Suchen in ihren vorhandenen Daten oder sogar Ideen für künftige Experimente geben. Dies ist der Ansatz des DESY-Theoretikers Johannes Braathen und seiner Kolleg:innen aus dem Bereich der Teilchenphänomenologie. Braathen hat gerade 1,59 Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erhalten, um eine Emmy Noether-Forschungsgruppe einzurichten. Diese Gruppen haben eine Laufzeit von sechs Jahren und soll Forscherinnen und Forscher in einer frühen Phase ihrer wissenschaftlichen Laufbahn unterstützen.

Das im November gestartete Projekt trägt den Titel "Cornering New Physics with Generic Precision Calculations". Braathen, der vor drei Jahren als Postdoc zu DESY gekommen ist und vor kurzem eine Stelle als Nachwuchswissenschaftler angetreten hat, wird im Laufe des Projekts von dem Doktoranden Alain Verduras sowie zwei weiteren Doktorierenden und zwei Postdocs bei der Erforschung von Phänomenen jenseits des Standardmodells unterstützt. Ihr besonderes Augenmerk wird auf dem Higgs-Teilchen liegen, dem als letztes Entdeckten unter den bekannten subatomaren Teilchen: Es wurde in den 1960-er Jahren vorhergesagt und 2012 am Large Hadron Collider am CERN in Genf entdeckt.

Es gibt viele offene Fragen in der Teilchenphysik und damit in unserem Verständnis, wie das Universum funktioniert. Eine dieser Fragen ist, warum es eine Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie gibt. Warum gibt es uns überhaupt und warum bestehen wir aus Materie? Materie und Antimaterie hätten beim Urknall zu gleichen Teilen entstehen müssen, was zu einer vollständigen Vernichtung aller Arten von Materie hätte führen müssen. Wir existieren allerdings, also muss es etwas geben, wie winzig auch immer, das die Materie dominieren lässt. "Was auch immer nach dem Urknall geschehen ist, das zu diesem Zustand führte, könnte zur gleichen Zeit geschehen sein, als das Higgs-Teilchen anderen Teilchen erstmals Masse verliehen hat", erklärt Braathen. "Das Higgs befindet sich an der Schnittstelle vieler Aspekte der Teilchenphysik und der Entwicklung des frühen Universums. Wir wollen theoretische Vorhersagen vorbereiten, um bereit zu sein, neue Daten zu interpretieren, wenn sie aus Higgs-Factories und kosmologischen Beobachtungen eintreffen."

Die Emmy Noether-Gruppe wird sich auf zukünftige Daten aus den Experimenten am Large Hadron Collider LHC am CERN vorbereiten. Sie wird aber auch kosmologische Beobachtungen, Daten von Gravitationswellenobservatorien wie der weltraumgestützten LISA-Mission und Daten anderer Experimente einbeziehen. Das Ziel ist es, äußerst präzise theoretische Vorhersagen für Phänomene zu treffen, die dann durch Experimente untersucht werden können. Braathen betont, dass ihre Berechnungen nicht modellspezifisch, sondern generisch sind. Die Theoretiker wollen die Anwendbarkeit erweitern und die Genauigkeit der automatisierten Berechnungen erhöhen, indem sie eine Vorhersage für ein bestimmtes Phänomen oder eine physikalische Größe von Interesse für eine allgemeine Theorie berechnen. Das Ergebnis kann dann auf jede spezifische Theorie angewendet werden, die über das Standardmodell hinausgeht. "Unsere Hoffnung ist es, Werkzeuge zu schaffen, die von jedem in der Gemeinschaft genutzt werden können", meint er.