Dunkle Materie muss irgendwo da draußen sein, in welcher Form auch immer. Besteht sie aus bisher unentdeckten Teilchen oder ist das Bild noch viel komplizierter? Wissenschaftler:innen von DESY und anderen Institutionen, die in der CMS-Kollaboration am Large Hadron Collider LHC, dem größten Teilchenbeschleuniger der Welt am CERN bei Genf, arbeiten, haben alles, was sie wissen, in einem umfassenden Papier zusammengefasst. Spoiler: Sie haben keine dunkle Materie gefunden, aber dieser Überblick wird eine Schlüsselrolle dabei spielen, sie eines Tages aufzuspüren. In einem von der CMS-DESY produzierten Video erklärt Juliette Alimena, Wissenschaftlerin in der CMS-Gruppe bei DESY und Leiterin der Studie, woran sie gearbeitet haben.
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Aus kosmologischen Beobachtungen wissen wir, dass die dunkle Materie etwa 80 % der gesamten Materie im Universum ausmacht. Allerdings wurde bisher noch kein dunkles Materieteilchen entdeckt. Um zu überprüfen, ob dunkle Materie im Labor erzeugt werden kann, hat die CMS-Kollaboration am Large Hadron Collider am CERN in Genf seit 2015 verschiedene Suchen danach durchgeführt. Jede dieser mehr als 40 Suchen zielt auf eine unterschiedliche "Signatur", wie das dunkle Materieteilchen im CMS-Detektor aus der Kollision von Protonen bei höchsten Energien entstehen würde. Jetzt ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen und zu schauen, wo diese Suchen stehen! Die CMS-Wissenschaftler:innen haben alle diese Studien in einem Übersichtspapier zusammengefasst, das kürzlich zur Veröffentlichung eingereicht wurde und eine Übersicht über die bisher durchgeführten Suchen gibt. Es handelt sich jedoch um weit mehr als eine Bestandsaufnahme: Neben der Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse liefert dieses Papier auch neue Interpretationen für viele dieser mehr als 40 Suchen, um ihre Auswirkungen auf den neuesten theoretischen Modellen zur Erzeugung dunkler Materie zu bestimmen.
"In einigen Theorien ist die dunkle Materie nicht nur ein neues Teilchen - sie könnte Teil eines ganzen dunklen Universums sein", sagt Juliette Alimena. "Dieses könnte in seiner Struktur und seinen Wechselwirkungen genauso kompliziert sein wie unser eigenes. Unser Bericht bietet neue Einblicke und gibt Hinweise darauf, wo wir als Nächstes suchen müssen."
Die CMS-Kollaboration hat bei der Suche nach dunkler Materie eine Vielzahl von theoretischen Modellen untersucht, die in verschiedene Kategorien eingeteilt werden können. In den Modellen für dunkle Materie wird mindestens ein dunkles Materieteilchen eingeführt. Zusätzlich gibt es ein "Vermittler"-Teilchen, das die Wechselwirkung zwischen den dunklen Teilchen im "dunklen Sektor" und den Teilchen des Standardmodells regelt, aus denen die gesamte sichtbare Materie im Universum besteht. Es gibt zwei Hauptklassen von Modellen, die bei der CMS-Suche nach dunkler Materie verwendet werden: "Vereinfachte dunkle Sektoren", die ein einziges Vermittlerteilchen beinhalten, und "Erweiterte dunkle Sektoren", die von kompliziertere Strukturen ausgehen.
Innerhalb jeder dieser Klassen untersuchten die Forschenden viele spezifische Modelle für dunkle Materie, darunter Axion-ähnliche Teilchen (ALPs), dunkle Higgs-Bosonen, sogenannte Hidden Valleys (=“versteckte Täler“), spezielle Versionen der Supersymmetrie (SUSY) und versteckte abelsche Higgs-Bosonen.
Bei jeder Suche nach dunkler Materie wird nach einer anderen Art von Ereignis oder Signatur im Detektor gesucht. Im Allgemeinen können diese unsichtbar, sofort sichtbar oder langlebig sein. Unsichtbare Signaturen sind bei der Suche nach dunkler Materie typisch, weil dunkle Materie in ihrer einfachsten Form elektrisch neutral sein sollte und im CMS-Detektor nicht wechselwirkt, so dass sie unsichtbar ist. Wenn es den Wissenschaftler:innen jedoch gelingt, in den Protonenkollisionen ein Vermittlerteilchen zu erzeugen, könnte dieses auch in Teilchen des Standardmodells zerfallen. Auf diese Weise kann mit CMS-Daten nach "sichtbaren" Signaturen gesucht werden. Diese Signaturen können "prompt" oder "langlebig" sein; einige Modelle sagen Teilchen voraus, die sofort zerfallen und "prompte" Signaturen im Detektor erzeugen, während andere Modelle Teilchen vorhersagen, die eine gewisse Strecke im Detektor zurücklegen, bevor sie zerfallen und "langlebige" Signaturen erzeugen. "Wenn die Teilchen eine lange Lebensdauer haben, müssen wir bei der Suche besonders kreativ sein, da diese langlebigen Teilchen oft spezielle Techniken erfordern, um ihre Flugbahnen im Detektor zu rekonstruieren", erklärt Jeremi Niedziela, Postdoc in der CMS-Gruppe bei DESY.
Die Grundlage für einige neue Interpretationen sind theoretische Modelle, die als " Hidden Valleys " bezeichnet werden. Sie sagen mehrere neue Kräfte und Teilchen voraus, die sich oft in einem " Tal "verstecken" und bei hohen LHC-Kollisionsenergien zugänglich werden könnten. Diese Modelle sagen mehrere neue Arten von Signaturen voraus, einige schnell, andere langlebig, und CMS-Forscher:innen haben nun mehrere bestehende Analysen in diesen neuen Modellen interpretiert.
In der Übersichtsarbeit werden die Ergebnisse einer Vielzahl von CMS-Suchen nach dunkler Materie vorgestellt, die einen weiten Bereich von Massen dunkler Materie und anderen intrinsischen Eigenschaften abdecken. Bislang gibt es noch keine Anzeichen für dunkle Materie, aber dieses Papier hilft dabei, die bisherigen Ergebnisse darzustellen und gibt den Physiker:innen wichtige Hinweise, wo sie als nächstes suchen sollten.
Originalveröffentlichung:
“Dark sector searches with the CMS experiment”, the CMS collaboration