DESY-Teilchenphysikdirektor Joachim Mnich zu den Perspektiven der Weltmaschine
Nach einer zweijährigen Umbauphase ist der weltweit größte Teilchenbeschleuniger LHC am europäischen Forschungszentrum CERN bei Genf jetzt wieder angelaufen. Künftig wird der Large Hadron Collider Teilchen bei höherer Energie zusammenstoßen lassen als jemals zuvor. Mit den Teilchencrashs soll die Weltmaschine neue Einblicke in bislang unkartiertes Neuland der Physik ermöglichen. Das hoffen auch die Forscher bei DESY, die mit zwei großen Gruppen an den LHC-Detektoren ATLAS und CMS beteiligt sind.
„Der LHC hat mit der Entdeckung des Higgs-Teilchens schon Geschichte geschrieben”, betont DESY-Teilchenphysikdirektor Prof. Joachim Mnich. „Der Neustart mit deutlich höherer Energie gibt uns die Chance, in neue, unbekannte Regionen vorzustoßen und neue physikalische Phänomene wie zum Beispiel die Dunkle Materie nachzuweisen. Alle beteiligten Teilchenphysiker blicken jetzt mit Spannung nach Genf.“
So ist das 2012 entdeckte Higgs-Teilchen nicht nur der krönende Abschluss des überaus erfolgreichen Standardmodells der Teilchenphysik, sondern auch ein entscheidender Türöffner für neue Physik jenseits dieses Modells. „In den kommenden Jahren werden wir die Eigenschaften des Higgs-Teilchens so präzise wie möglich vermessen“, erklärt Mnich. „Wenn wir kleinste Abweichungen von den Vorhersagen erkennen, könnte genau darin ein entscheidender Hinweis auf bislang unentdeckte Teilchen stecken, die unser Weltbild über die bisher bestätigten Modelle hinaus erweitern würden.“
Dabei könnten etwa die heiß gesuchten supersymmetrischen Teilchen ans Licht kommen – oder etwas ganz anderes. „Eine der ganz großen Fragen ist die nach der Natur der Dunklen Materie“, erläutert Mnich. Denn das erfolgreiche Standardmodell der Teilchenphysik erklärt erst fünf Prozent des Universums. Das ist der Anteil, den die uns bekannte Materie stellt. Astronomische Beobachtungen haben eine weitere Materieform aufgespürt, die jedoch nicht sichtbar ist und sich bislang nur durch ihre Schwerkraft verrät. Diese Dunkle Materie ist über fünfmal häufiger als die uns gewohnte Materie, ihre Natur ist jedoch völlig rätselhaft. Viele Physiker hoffen, dass der LHC Kandidaten für die Dunkle Materie aufspürt.
„Aber wir wissen noch nicht einmal, ob es sich bei der Dunklen Materie überhaupt um Teilchen handelt“, gibt Mnich zu bedenken. „Wir wissen, dass die Dunkle Materie über die Schwerkraft mit anderer Materie wechselwirkt. Wir hoffen, dass sie auch die Schwache Wechselwirkung besitzt, die in der Natur unter anderem für radioaktive Zerfälle verantwortlich ist. Sonst wird es sehr schwer, Teilchen der Dunklen Materie in einem Beschleuniger zu finden.“ Tatsächlich kommen auch supersymmetrische Teilchen als Kandidaten für die Dunkle Materie infrage.
Doch selbst wenn die Physik einen Hinweis auf die Natur der Dunklen Materie finden sollte, lässt sich damit noch immer nicht der Kosmos erschöpfend erklären. Denn mehr als zwei Drittel des Inhalts unseres Universums stellt eine mysteriöse Dunkle Energie, die den Raum selbst auseinander zu treiben scheint, wie astronomische Beobachtungen gezeigt haben. Den Forschern fehlt bislang jedes Indiz, worum es sich dabei handeln könnte.
Eine besondere DESY-Stärke liegt nach wie vor in der Analyse der Protonstruktur, deren genaue Kenntnis für die weitere Higgs-Forschung am LHC von entscheidender Bedeutung ist. Denn in dem Beschleuniger stoßen Protonen auf Protonen, und aus den Kollisionen ergibt sich erst dann ein klares Bild, wenn im Detail bekannt ist, was da eigentlich aufeinander prallt. Nirgends ist das Innere des Protons genauer untersucht worden als am DESY-Beschleuniger HERA.
Doch experimentieren allein, reicht nicht. „Wir müssen die Experimente auch verstehen“, betont Mnich. „Dafür ist die Theorie unverzichtbar. Wichtig ist dabei, die Resultate von Beschleunigerexperimenten und astronomischen Beobachtungen zusammenzuführen. Bei DESY haben wir eine außerordentlich starke Theoriegruppe, die auch ein einzigartiges Umfeld für Nachwuchswissenschaftler bietet.“
Nicht weniger als alles möchte die Physik am liebsten erklären können. Mit einer eleganten Theorie, die ihr gesammelte Wissen in einem Weltmodell vereint, das zurück bis zum Ursprung des Universums reicht und auch die große Frage beantwortet, ob die uns bekannten Naturkräfte lediglich verschiedene Ausprägungen einer gewaltigen „Urkraft“ sind. Eine Beschreibung, die es sogar endlich ermöglichen könnte, die Schwerkraft mit den übrigen Kräften unter einen Hut zu bringen.
„Aber ist die Natur wirklich so einfach, dass es am Ende nur eine Kraft gibt?“, sagt Mnich. „Diese Frage werden wir nicht so bald beantworten können. Wir könnten jedoch in den kommenden Jahren Hinweise bekommen, in welcher Richtung die Suche nach einer Antwort lohnt.“
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Mehr zu diesem Thema lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des DESY-Forschungsmagazins "femto", www.desy.de/femto, sowie auf www.weltmaschine.de