Forschende des CMS-Experiments am CERN durchforsten die Daten aus Kollisionen vom Large Hadron Collider LHC nach exotischen langlebigen Teilchen. Ihr besonderes Augenmerkt gilt „dunklen Photonen“, die auftreten würden, wenn ein Higgs-Teilchen in Myonen zerfällt.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des CMS-Experiments am CERN haben ihre erste Suche nach neuen physikalischen Phänomenen anhand von Daten aus der neuesten Laufzeit des riesigen CERN-Teilchenbeschleunigers vorgestellt. Die neue Studie untersucht die Möglichkeit der Produktion „dunkler Photonen“ beim Zerfall von Higgs-Teilchen im Detektor. Dunkle Photonen sind exotische, langlebige Teilchen: „langlebig“, weil sie eine durchschnittliche Lebensdauer von mehr als einer Zehntelmilliardstel Sekunde haben (eine sehr lange Lebensdauer für Teilchen, die im LHC erzeugt werden) und „exotisch“, weil sie nicht Teil des Standardmodells der Teilchenphysik sind. Das Standardmodell ist die grundlegende Theorie der fundamentalen Bausteine des Universums, die allerdings einige Fragen offen lässt. Daher suchen die Forschenden nach Phänomenen jenseits des Standardmodells. Das neue Ergebnis von CMS setzt engere Grenzen für die Parameter des Zerfalls von Higgs-Teilchen in dunkle Photonen – man weiß also nun genauer, wo man suhen muss.
Theoretisch würden dunkle Photonen im CMS-Detektor eine messbare Strecke zurücklegen, bevor sie in„verschobene Myonen“ zerfallen. Würden die Wissenschaftler:innen die Spuren dieser Myonen zurückverfolgen, so würden sie feststellen, dass sie nicht bis zum Kollisionspunkt reichen, da die Spuren von einem Teilchen stammen, das sich bereits ein Stück weit entfernt hat, ohne eine Spur zu hinterlassen – daher der Begriff „verschoben“.
Lauf 3 des Large Hadron Colliders LHC begann im Juli 2022 und liefert mehr Kollisionen als frühere Läufe. Der LHC erzeugt jede Sekunde mehrere zehn Millionen Kollisionen, von denen jedoch nur einige Tausend gespeichert werden können, weil die Aufzeichnung jeder einzelnen Kollision schnell den gesamten verfügbaren Datenspeicher aufbrauchen würde. Aus diesem Grund ist CMS mit einem Echtzeit-Datenauswahlalgorithmus, dem so genannten Trigger, ausgestattet, der entscheidet, ob eine bestimmte Kollision interessant ist oder nicht. Es ist also nicht nur eine größere Datenmenge, die dazu beitragen könnte, Hinweise auf das dunkle Photon zu finden, sondern auch die Art und Weise, wie das Triggersystem auf die Suche nach bestimmten Phänomenen abgestimmt ist.
„Wir haben unsere Fähigkeit, auf verschobene Myonen zu triggern, deutlich verbessert“, sagt Juliette Alimena, DESY-Forscherin und Teil des CMS-Teams. „Dadurch können wir viel mehr solche Ereignisse als bisher sammeln, die Myonen enthalten, die vom Kollisionspunkt um einige hundert Mikrometer bis zu mehreren Metern entfernt sind. Dank dieser Verbesserungen ist es jetzt viel wahrscheinlicher, dass CMS dunkle Photonen findet, wenn es sie denn gibt.“
Das CMS-Triggersystem ist entscheidend für diese Suche und wurde vor dem derzeitigen Lauf des LHC speziell für die Suche nach exotischen, langlebigen Teilchen verfeinert. Dadurch konnte das CMS-Team den LHC effizienter nutzen und verglichen mit früheren Suchen mit nur einem Drittel der Datenmenge ein gutesErgebnis erzielen. Dafür hatten die Wissenschaftler:innen das Triggersystem mit einem neuen Algorithmus, mit dessen Hilfe selbst mit nur vier bis fünf Monaten an Daten aus Lauf 3 im Jahr 2022 mehr Ereignisse mit verschobenen Myonen aufgezeichnet wurden als in dem viel größeren Datensatz aus Lauf 2 von 2016-18. Die neue Bandbreite des Triggers vergrößert die Impulsbereiche der aufgefangenen Myonen beträchtlich und ermöglicht es dem Team, neue Regionen zu erforschen, in denen sich langlebige Teilchen verstecken könnten.
CMS wird auch in den nächsten Jahren von Lauf 3 die leistungsfähigsten Techniken zur Analyse aller Daten einsetzen, um die Physik jenseits des Standardmodells weiter zu erforschen.