Wissenschaft trifft Kunst: Astroparticle Immersive Synthesizer³ – AIS³ [aiskju:b]

Ein Klanglaboratorium des Künstlers Tim Otto Roth in Zusammenarbeit mit dem Neutrino-Observatorium IceCube und DESY

Aufnahme der Testinstallation von [aiskju:b]. Bild: imachination projects [Quelle]

Die Licht-Klang-Installation [aiskju:b] von Tim Otto Roth in der Kulturkirche St. Elisabeth in Berlin. Bild: DESY, Ulrike Behrens

Visualisierung der Digitalen Optischen Module (DOM) von IceCube im antarktischen Eis. Bild: Jamie Yang, IceCube Collaboration

In Berlin hat die von der Wissenschaft inspirierte Licht- und Klanginstallation [aiskju:b] Premiere gefeiert. Der „Astroparticle Immersive Synthesizer³ – AIS³ [aiskju:b]“ des Konzeptkünstlers Tim Otto Roth greift Struktur und Funktion des Neutrino-Teleskops IceCube auf, das im ewigen Eis der Antarktis nach energiereichen Elementarteilchen aus dem Weltall späht, den Neutrinos. DESY, größter europäischer Partner bei IceCube, hat Tim Otto Roth von Beginn an bei der Realisierung des ambitionierten [aiskju:b]-Projekts unterstützt. Vom 29. August bis 16. September ist die Installation täglich von 15.00 bis 21.00 Uhr (Samstag und Sonntag von 12.00 bis 21.00 Uhr) kostenlos in der Kulturkirche St. Elisabeth zu besichtigen.

IceCube ist sozusagen der Datenlieferant für die Licht-Klang-Installation von Tim Otto Roth. [aiskju:b] ermöglicht, in die Geschehnisse am Südpol einzutauchen und beinahe in Echtzeit einen Neutrino-Aufprall in IceCube mitzuerleben. „Mit diesem Projekt wird die Faszination für Wissenschaft auch an ein eher wissenschaftsfernes Publikum weitergegeben. Die unkonventionelle Annäherung an ein aktuelles Forschungsthema bietet damit eine sinnlich erfahrbare Ergänzung zu unserer klassischen Kommunikation von Forschung“, erläutert Christian Spiering, ehemaliger Leiter der IceCube-Gruppe bei DESY und Gründer des Global Neutrino Network.

Zwar rasen in jeder Sekunde Milliarden von Neutrinos durch uns hindurch, sie nachzuweisen ist jedoch extrem schwer, weil die leichten Elementarteilchen kaum jemals wechselwirken. Um einige der extrem seltenen Wechselwirkungen zu erwischen, haben die IceCube-Forscher 5160 Lichtsensoren über einen Kubikkilometer verteilt in langen Strängen in den antarktischen Eispanzer eingeschmolzen. Die Sensoren registrieren die winzigen Lichtblitze, die bei den seltenen Reaktionen von Neutrinos entstehen. Daraus lassen sich Richtung und Energie der Neutrinos bestimmen.

[aiskju:b] – Premiere in St. Elisabeth in Berlin
Bei [aiskju:b] hängen an dünnen Drahtseilen 444 kugelförmige Lautsprecher im leeren Kirchenraum der Kulturkirche St. Elisabeth, die in zwei Zyklen unterschiedlich bespielt werden: In einem Zyklus wird das niederenergetische Dektektorrauschen von IceCube in tieffrequente Sinustöne übersetzt, das einen wabernden, fast schon psychedelischen Klangteppich webt. In dem anderen Zyklus rauschen sprichwörtlich die Lichtspuren durch einen hindurch: Tim Otto Roth verwendet hierfür bandgefiltertes Rauschen, um die gemessenen Bewegungen von Teilchen zu einem physischen Erlebnis werden zu lassen. Diese äußern sich mal als Kaskade quer durch den Klangraum, mal als kugelförmige Eruption von Klanglichtgebilden. Der Besucher kann sich frei zwischen den an 37 Strängen montierten Lautsprechern bewegen und so die Bewegung der Geisterteilchen im Raum mitverfolgen. Sitzkissen laden aber auch zum kontemplativen Verweilen ein.

[aiskju:b] nimmt mit den Lautsprechern die Form und Anordnung der Sensoren im arktischen Eis auf. Jeweils 12 kugelförmige Lautsprecher sind an 37 Strängen montiert, die einen begehbaren Klang- und Lichtraum von rund acht mal acht mal sieben Metern kreieren. Gespeist mit aktuellen Daten des IceCube-Experiments werden die gemessenen Energien in farbiges Licht und Töne übersetzt, die sich im Raum positionsabhängig zu unterschiedlichen Klängen mischen. Ziel ist nicht nur ein neuer Zugang für Laien und für Wissenschaftler zu physikalischer Forschung, sondern auch eine neue interdisziplinäre Kunstpraktik: AIS³ ist Kunstwerk und psychoakustisches Grundlagenexperiment zugleich, es lässt den Raum selbst zum Klanggenerator werden, in den der Besucher eintaucht.

Das Rahmenprogramm
Begleitend zur Premiere von [aiskju:b] in Berlin hat DESY ein Rahmenprogramm
mit einer Ausstellung zur Forschung am Südpol, Abendvorträgen, Führungen für Schulklassen und einer Lehrerfortbildung konzipiert. Ein neues Format ist das Symposium Physics and Art(efacts): In [aiskju:b] gehen Physik und Kunst eine besondere Liaison ein, die bislang wissenschaftlich wenig beleuchtet wurde. Daher nehmen der Astrophysiker Christian Spiering und der Kunst- und Wissenschaftshistoriker Tim Otto Roth die Präsentation von [aiskju:b] zum Anlass, ausgewiesene Experten nicht nur aus Physik und Kunst, sondern vor allem Kunst- und Wissenschaftshistoriker sowie Musik- und Medienwissenschaftler im Rahmen eines interdisziplinären Symposiums am 14. und 15. September nach der Bedeutung des Physischen in Kunst und Naturwissenschaften zu befragen. Von naturwissenschaftlicher Seite sind unter anderem die DESY-Forscher Thomas Naumann und Robin Santra sowie der Vizepräsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und ehemalige Generaldirektor des europäischen Teilchenforschungszentrums CERN bei Genf, Rolf-Dieter Heuer, eingeladen.

IceCube – das wissenschaftliche Experiment
„IceCube ist das verrückteste Teleskop der Welt!“, erklärt Spiering. Statt Licht, Röntgenstrahlung oder Radiowellen weist es Neutrinos nach, winzige, elektrisch neutrale Elementarteilchen, die unglaublich selten mit Materie reagieren. Von den 60 Milliarden Neutrinos aus der Sonne etwa, die pro Sekunde auf jeden Quadratzentimeter der Erde treffen, reagiert beim Flug durch den Erdball nur ein knappes Dutzend mit einem Atomkern. Diese „Geisterteilchen“ vermitteln uns jedoch einzigartige Informationen über den Kosmos. Wegen ihrer geringen Reaktionsneigung können sie ungestört den dichtesten kosmischen Objekten entweichen, aus denen Licht es nur indirekt herausschafft.

2013 gelang IceCube erstmalig der Nachweis kosmischer Neutrinos hoher Energie. Die Ankunftsrichtungen dieser Neutrinos schienen gleichverteilt über den Himmel zu sein, eine konkrete Quelle ließ sich nicht identifizieren. Genau dies ist nun jedoch gelungen: IceCube hatte im Juli mit einem wissenschaftlichen Erfolg Schlagzeilen gemacht, als es einem internationalen Forscherteam erstmals gelungen war, die Umgebung eines supermassereichen Schwarzen Lochs im Sternbild Orion als Quelle kosmischer Neutrinos zu identifizieren – ein Durchbruch für das junge Feld der Neutrinoastronomie. DESY-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren maßgeblich an diesem Erfolg beteiligt, mit dem der erste Schritt zu einer Kartierung des Neutrinohimmels getan ist. „Neben Gravitationswellen, für deren Entdeckung 2017 der Nobelpreis verliehen wurde, werden in Zukunft auch hochenergetische Neutrinos als wichtige neue astrophysikalische Informationsträger dienen“, betont Spiering.


Weitere Informationen
Projekt und Rahmenprogramm: http://www.imachination.net/ais3

 
Die Ausstellung und das Rahmenprogramm werden gefördert und unterstützt durch: Hauptstadt Kulturfonds, Schering Stiftung, DESY, APPEC, RWTH Aachen/F. Victor Rolff-Stiftung, TU München/SFB 1258, Hamamatsu, Joachim Herz Stiftung, Kultur Büro Elisabeth.