Ergebnisse des Neutrino-Observatoriums IceCube eröffnen neue Perspektiven für die Teilchenphysik

In der IceCube-Zentrale an der Scott-Amundsen-Station am Südpol laufen die Detektordaten zusammen (Bild: Felipe Pedreros, IceCube/NSF).

Visualisierung der Digitalen Optischen Module (DOM) von IceCube im antarktischen Eis (Bild: Jamie Yang, IceCube Collaboration).

Detektor am Südpol misst Neutrino-Oszillationen mit hoher Präzision

Das IceCube-Observatorium am Südpol hat vermessen, auf welche Art und Weise Neutrinos, eine Sorte geisterhafter Elementarteilchen, ihre Identität verändern, wenn sie durch den Erdball und die irdische Atmosphäre fliegen. Die Messung dieser Neutrino-Oszillationen, die erstmals 1998 vom Kamiokande-Experiment in Japan beobachtet wurden, eröffnet neue Perspektiven für die Teilchenphysik, und das mit einem Detektor, der ursprünglich für ganz andere Zwecke gebaut wurde, nämlich zur Entdeckung von Neutrinos aus weit entfernten kosmischen Quellen. „Wir freuen uns sehr, dass wir mit IceCube und dem integrierten DeepCore-Detektor Neutrino-Oszillationen mit hoher Präzision bestimmen können“, sagt Olga Botner, Sprecherin des IceCube-Experiments. „DeepCore wurde auf Initiative des erst kürzlich verstorbenen Per Olof Hulth entwickelt, um die Energieschwelle von IceCube deutlich herabzusetzen. Die Ergebnisse zeigen, dass IceCube dazu beitragen kann, die Oszillationsparameter sehr genau zu bestimmen; ein guter Grund, die Pläne für PINGU voranzutreiben, die IceCube-Erweiterung zur Messung von Neutrinoeigenschaften.“

„IceCube registriert jedes Jahr mehr als hunderttausend atmosphärische Neutrinos. Die meisten davon sind Myon-Neutrinos, die durch die Wechselwirkung von schnellen kosmischen Teilchen mit der Atmosphäre entstehen“, sagt DESY-Physiker Rolf Nahnhauer. Mit dem DeepCore Detektor im Zentrum von IceCube können Neutrinos mit Energien bis hinunter zu 10 Gigaelektronenvolt (GeV) nachgewiesen werden. „Aufgrund unseres Wissens über Neutrino-Oszillationen müsste IceCube weniger Myon-Neutrinos mit Energien um 25 GeV registrieren, wenn sie nach Durchqueren des Erdballs IceCube erreichen“, erklärt Nahnhauer weiter. „Der Grund für das Fehlen der Myon-Neutrinos liegt in deren Umwandlung in andere Neutrino-Sorten.“ IceCube-Forscher nutzten Daten von Myon-Neutrinos von der Nordhalbkugel, in einem Energiebereich von wenigen GeV bis rund 50 GeV, die im Zeitraum Mai 2011 bis April 2014 genommen wurden. Es wurden etwa 5200 Ereignisse gefunden, wesentlich weniger als die 7000, die man unter Annahme von nicht stattfindenden Oszillationen erwartet hätte.

Noch heute gehören Neutrinos zu den rätselhaftesten Elementarteilchen. 1930 vom österreichischen Physiker Wolfgang Pauli vorhergesagt, gelang deren experimenteller Nachweis erst 25 Jahre später. „Neutrinos sind geisterhafte Teilchen“, so Olga Botner, „sie fliegen durch Materie aller Art und durch den gesamten Erdball, ohne mit irgendetwas zu reagieren.“ Die Physiker haben jedoch immer feinere Messinstrumente gebaut, um die Rätsel der extrem leichten Teilchen zu entschlüsseln. Eines der überraschenden Ergebnisse war, dass die drei Neutrinosorten Elektron-, Myon- und Tau-Neutrino ihre Identität ändern können, indem sie von einer zur anderen Neutrinosorte wechseln. Dieses Phänomen bezeichnet man als Neutrino-Oszillation. „Neutrino-Oszillationen sind aber nur möglich, wenn Neutrinos eine Masse haben“, erklärt Nahnhauer. „Im Standardmodell der Teilchenphysik werden Neutrinos jedoch als masselos angenommen.“ Die Oszillationsstärke und die Strecke, auf der diese Oszillation stattfindet, wird von zwei Parametern bestimmt: dem sogenannten Mischungswinkel und der Massendifferenz der einzelnen Sorten. Die Werte dieser Parameter wurden eingegrenzt durch präzise Messungen von Neutrinos aus der Sonne, der Atmosphäre, Kernkraftwerken und Teilchenbeschleunigern.

Das Neutrino-Observatorium IceCube am Südpol, das das antarktische Eisschild als Detektormaterial nutzt, hat bereits seine Leistungsfähigkeit als Instrument zur Erforschung des Universums mit Hilfe von Neutrinos bewiesen. Mehr als 5000 optische Sensoren, auf einen Kubikkilometer Eis verteilt, registrieren die äußerst seltenen Kollisionen von Neutrinos mit dem Eis. Vor knapp zwei Jahren verkündeten die IceCube-Physiker die Entdeckung der ersten hochenergetischen Neutrinos aus dem Kosmos. Diese bahnbrechende Entdeckung wurde vom Wissenschaftsmagazin „Physics World“ zum „Durchbruch des Jahres“ gekürt.

Jetzt hat IceCube bewiesen, dass nicht nur Spitzenergebnisse für die Astrophysik, sondern auch äußerst wichtige Ergebnisse für die Teilchenphysik möglich sind. Die neuen Messungen der IceCube-Kollaboration erlauben eine wesentlich verbesserte Bestimmung der Neutrino-Oszillationsparameter. Die Resultate wurden jetzt vom Wissenschaftsmagazin „Physical Review D“ zur Veröffentlichung angenommen.

Die im Zeitraum von drei Jahren an IceCube gelieferten Daten waren ähnlich präzise wie diejenigen, die in 15 Jahren am Super-Kamiokande gemessen wurden. Anders als Super-Kamiokande, mit seinem 50000-Tonnen-Tank hochreinen Wassers, nutzt IceCube das ewige Eis des Südpols als Detektormaterial. Das 500 Mal größere Beobachtungsvolumen liefert höhere Ereignisstatistiken in kürzerer Zeit. „Sowohl Super-Kamiokande als auch IceCube nutzen den gleichen ‚Teilchenstrahl‘ aus atmosphärischen Neutrinos, aber mit unterschiedlichen Energien. Wir erreichen dabei eine vergleichbare Präzision der messbaren Oszillationsparameter“, sagt DESY-Postdoc Pablo Yanez, verantwortlicher Autor des wissenschaftlichen Beitrags. „Die Ergebnisse aus IceCube-Daten haben zurzeit zwar noch größere Messfehler als die extrem präzisen Neutrinostrahlexperimente MINOS und T2K; IceCube wird jedoch weiterhin Daten nehmen, und mit Verbesserung der Analysen hoffen wir, bald aufholen zu können“, ergänzt Yanez.

Zurzeit ist eine Erweiterung des IceCube Detektors namens PINGU (Precision IceCube Next Generation Upgrade) in Planung. Eine wesentlich höhere Dichte der optischen Module im gesamten zentralen Bereich soll die Empfindlichkeit für die Erforschung verschiedener fundamentaler Fragen im Zusammenhang mit Neutrinos erhöhen.

“In erster Linie wollen wir die sogenannte Neutrino-Massenhirarchie messen, das heißt, ob es zwei schwerere und ein leichtes Neutrino gibt, oder ob es genau umgekehrt ist“, erklärt Nahnhauer. „Das ist wichtig, um zu verstehen, wie Neutrinos Masse erhalten, es hat aber auch eine erhebliche Bedeutung bei der Entwicklung des Kosmos. Die aktuellen Ergebnisse liefern eine wichtige experimentelle Bestätigung dafür, dass unsere Ideen funktionieren.“