DESY produziert Schutzvisiere für Hamburger Vertragspraxen und Pflegeeinrichtungen

Über 1000 Visiere wurden bereits übergeben

Beate Heinemann (links) überreicht Stefanie Schäfer (KVH) eine weitere Ladung Gesichtsschirme. Im Hintergrund: Uwe Clasen (bpa), Christian Harringa und Thorsten Schlüter (beide DESY). Bild: DESY

DESY stellt der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) und dem Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa) über 2000 Schutzvisiere zur Verfügung. Die Schutzvisiere werden bei DESY mit 3D-Druckern und in den eigenen Werkstätten hergestellt und montiert. Sie sollen zum persönlichen Schutz gegen das Corona-Virus an besonders gefährdete Praxen, Pflegeheime, Infektpraxen oder Covid-Sprechstunden ausgeliefert werden. Über 1000 Visiere hat DESY bereits übergeben.

„Wir freuen uns, dass DESY in der Pandemie mit Hardware aus unseren Werkstätten dort helfen kann, wo der Bedarf am größten ist“, so der stellvertretende Vorsitzende des DESY-Direktoriums Christian Harringa. „Ein großes Team aus Freiwilligen, viele davon Forscherinnen und Forscher, fertigt bei uns in Schichten und selbstverständlich unter Einhalt der Schutzmaßnahmen mehrere Hundert Schirme in der Woche an.“

Die Keimzelle der Gesichtsschirm-Manufaktur bei DESY ist Beate Heinemann, Leitende Wissenschaftlerin in der ATLAS-Gruppe bei DESY und Professorin an die Uni Freiburg. Als Mitglied der „CERN against COVID“-Taskforce des Forschungszentrums CERN in Genf erhielt sie die Anregung, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, medizinischem Personal durch den Bau von Schutzausrüstung zu helfen.

Eine befreundete Ärztin bestätigte ihr, dass auch in Hamburg gerade enormer Bedarf an genau solcher Schutzausrüstung für medizinisches Personal besteht. So fand sich spontan ein Team aus Physik-, Ingenieurs- und Technikkolleginnen und -kollegen aus dem FH-Bereich zusammen, um zu überlegen, wie DESY mit seinen enormen technischen Möglichkeiten da helfen kann.

Basierend auf einer frei im Internet verfügbaren Druckanleitung lief kurz darauf bei DESY der erste Test-Schirm aus dem Drucker. Allerdings dauerte die Produktion eines einzigen Schildes drei Stunden. Inzwischen hat eine von DESYs Rapid-Prototyping-Experten, Katharina Jähnke, die Druckvorlage so angepasst, dass am Tag rund 35 Schirme entstehen können.

Parallel suchte das Team allerdings nach einem noch effizienteren Design. Sie entwickelten einen Bügel aus Aluminium analog zum Druckermodell. Nach drei Testvarianten, die jeweils von medizinischem Personal unter Arbeitsbedingungen getestet wurden, kamen sie zunächst bei einem Prototypen an, der aus zwei Aluminiumbügeln besteht, an dem vorn die Schutzfolie befestigt ist und die hinten am Kopf zusammengebunden wurden. Wichtig war auch, dass sie sich leicht desinfizieren lassen. Die befreundete Ärztin war begeistert: „Die Dinger merkt man kaum, sie lassen sich locker den ganzen Tag tragen. Die werden sie euch aus den Händen reißen!“

Die Schirme gingen in Serienproduktion. In der Zentralwerkstatt wurden die Aluminiumstreifen mit der große Wasserschneidemaschine zugeschnitten und zurechtgebogen; im ATLAS-Seminarraum in Gebäude 1 wurden sie zu vollständigen Schirmen zusammengesetzt. Mehr als 30 Freiwillige – von Studierenden bis zur Gruppenleitung – meldeten sich zu Schichten à bis zu drei Personen (natürlich unter Einhaltung der DESY-Arbeits- und Abstandsregeln) und schnitten zu, nieteten und knoteten. Inzwischen wurde auf ein Modell komplett aus Kunststoff umgestellt. Auch die Kopierzentrale ist eingebunden, da alle Schirme mit Aufklebern versehen werden. Pro Tag entstehen auf diese Art um die 100 Schirme nach DESY-Hausdesign. Die Produktion läuft – Freiwillige DESYanerinnen und DESYaner können sich bei Beate Heinemann melden.

Wiederum parallel hierzu scoutete Heinemann nach Lieferanten für die Komponenten und fand zum Beispiel einen Betrieb in Wandsbek für die Schutzfolie, der zufälligerweise auch rollenweise Gummiband – ein rares Gut während der Coronakrise – im Angebot hatte. Heinemanns Auto ist inzwischen zum Kurierfahrzeug für Schutzfolie geworden, und auch die Schirme selbst hat sie schon damit teilweise schon chauffiert. Auf den Rat der Freundin hin hatte sie Kontakt zur Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) aufgenommen, der Dachorganisation für Vertragsärzte und -ärztinnen in Hamburg. Die KVH schickte ihren Kurier um die ersten Produktionsreihen abzuholen, und nach einigen kleinen Korrekturen im Design bekundete die KVH Interesse an 2000 Schirmen aus dem Drucker. Die BPA, die Dachorganisation für soziale Einrichtungen, zeigte großes Interesse an den handgefertigten Schirmen.

„Das ist alles komplettes Neuland für mich“, lacht Heinemann. „Als Wissenschaftlerin kann ich ganz gut organisieren, aber eine Produktreihe aus der Taufe heben ist dann doch eine ganz neue Erfahrung. Zum Glück kam von vielen Seiten bei DESY tatkräftige Unterstützung, ohne die das nie möglich gewesen wäre. Es ist echt toll, wie hilfsbereit die ganzen Kolleginnen und Kollegen am DESY sind – von der Warenannahme, die sich auch um die Verpackung der fertigen Schirme kümmert, über viele Techniker in verschiedenen Bereichen bis hin zu Direktoren, die halfen, administratorive Hürden schnell und unbürokratisch zu umschiffen.“

Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender der Vertreterversammlung der KVH und HNO-Arzt in Hamburg-Horn, sagt: „Die tatkräftige Hilfe durch DESY ist wichtig für die ambulante Versorgung der Menschen in Hamburg, da die Visiere bei der Behandlung und Betreuung von Patienten einen zusätzlichen Schutz – besonders für die Augen – bieten. Vor allem in Hausarzt- und HNO-Arztpraxen sowie in den Hamburger Infektpraxen, die sich schwerpunktmäßig um die Diagnostik infektiöser Patienten kümmern und auch Corona-Testungen durchführen, werden sie den Ärztinnen und Ärzten, aber natürlich auch den MFAs sowie den Patienten zu Gute kommen. Die Vertragsärzte sind dafür außerordentlich dankbar.“

Karin Kaiser, Vorsitzende der bpa-Landesgruppe Hamburg, von der über 330 Pflegeeinrichtungen und -dienste vertreten werden, betont die Bedeutung der Spende von fast 300 Schutzvisieren: „Dafür sind wir sehr dankbar. Schutzbrillen und -visiere sind derzeit kaum zu bekommen, werden bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten zum Schutz der uns anvertrauten Menschen aber dringend benötigt. Angebote für die weitere Produktion nehmen wir gern entgegen.“

Das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY ist ein Forschungszentrum für naturwissenschaftliche Grundlagenforschung mit Sitz in Hamburg und Zeuthen. Wegen der Corona-Pandemie befand sich DESY im Reduzierten Betriebsmodus, viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten von zu Hause aus. Spontan fand sich ein Team um die Leitende Wissenschaftlerin und Professorin Beate Heinemann zusammen, das nach Vorlagen aus dem Internet und nach eigenem Design Gesichts-Schirme für ärztliches und Pflegepersonal entwickelte und produzierte. Pro Tag können bei DESY etwa 35 Gesichts-Schirme mit 3D-Druckern und weitere 100 aus der selbst entworfenen Serie hergestellt werden. Viele Schirme wurden bereits an die KVH, individuelle Praxen und Pflegeheime ausgeliefert.

An DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III laufen derweil Untersuchungen, um mittels Röntgenscreening mögliche Wirkstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 zu identifizieren. Außerdem stellt DESY Rechenleistung für Projekte zur Verfügung, die sich mit Proteinfaltung befassen.