CMS-Forschende veröffentlichen genaueste Messung einer Naturkonstante

Präzision als Schlüssel zu neuer Physik

Ein Ereignis mit zwei Jets (orangefarbene Kegel) aus Proton-Proton-Kollisionen, das im CMS-Detektor aufgezeichnet wurde. Die gelben Linien entsprechen den Flugbahnen der geladenen Teilchen, die blau und grün schattierten Kästen sind ein Maß für die Energie. Rote Linien stellen die Myonen dar, die sich in Richtung der Myonenkammern bewegen und diese durchqueren. Interaktive Version: [Quelle] . Bild: CERN

Die internationale Arbeitsgruppe am CMS-Detektor am LHC hat die genaueste Messung der starken Kopplungskonstante präsentiert, die jemals an einem Hadronenbeschleuniger erzielt worden ist. Diese Naturkonstante beschreibt die Stärke von einer der vier fundamentalen Wechselwirkungen im Universum. Die Präzisionsanalysen, die maßgeblich von DESY-Forschenden durchgeführt wurden, erlauben eine deutlich verfeinerte Suche nach physikalischen Effekten, die nicht vom bisher gültigen Standardmodell der Teilchenpyhsik beschrieben werden.

Wie das Periodensystem in der Chemie, spielt das Standardmodell der Teilchenphysik eine zentrale Rolle in unserem Bild der Elementarteilchen. Dieses Modell ordnet die Struktur der Materie und elementare Kräfte und beschreibt sie mathematisch. Trotzdem hat dieses Modell Schwächen. Diese weisen auf neue Erkenntnisse über Elementarteilchen oder auf die Präsenz neuer Wechselwirkungen hin, was unser Weltbild entscheidend verändern würde. Zum Beispiel ordnet das Standardmodell die fundamentalen Bausteine der Materie, die Quarks, in drei Familien ein. Allerdings ist die nukleare Materie - alles was wir sehen oder anfassen - nur aus Mitgliedern der ersten Familie aufgebaut. Der Grund dafür ist ungeklärt. Eine Hypothese ist, dass die uns bekannten Quarks selbst eine Struktur haben könnten, welche bei extrem hohen Energien sichtbar wird, und eine neue, bisher unbekannte Kraft in Erscheinung tritt.

Die DESY-Gruppe am CMS-Experiment beschäftigt sich mit Suchen nach solcher Neuen Physik durch Untersuchungen der Wechselwirkungen von Quarks in Kollisionen der Protonen am Large Hadron Collider LHC am CERN. Dort werden Protonen, die zu den stark-wechselwirkenden Teilchen, den sogenannten Hadronen gehören, mit äußerst hoher Energie zur Kollision gebracht. Die Herausforderung dabei: Quarks können nicht als freie Teilchen beobachtet werden. Die starke Kraft hält sie immer in Paaren oder Gruppen von Teilchengefangen. Für die LHC-Experimente heißt das: Sobald ein Quark aus einem Proton herausgeschlagen wird, wird um dieses ein Bündel stabiler Teilchen gebildet — ein sogenannter Jet. Die Energie und Richtung des Jets können experimentell gemessen werden und deuten auf die Eigenschaften des ursprünglichen Quarks hin.

Jede Abweichung von gemessenen Jet Eigenschaften von den Vorhersagen des Standardmodells wäre ein Hinweis auf Präsenz der Neuen Physik. Die Schwierigkeit dabei ist, dass die experimentell beobachteten Jets sowohl in einer möglichen Neuen Wechselwirkung der Quarks erzeugt werden können als auch in der bekannten starken Wechselwirkung. Um dies bei der Interpretation der Beobachtungen unterscheiden zu können, ist es wichtig, die Größen des Standardmodells (in diesem Fall der starken Kraft) sehr präzise zu kennen.

Seit ersten Messungen in den 1990er Jahren am Tevatron am Fermilab (USA, in dem Protonen und Antiprotonen zur Kollision gebracht wurden, hat dieses Problem die Suche nach Neuer Physik mit Hilfe von Teilchen-Jets belastet. Nun wurde es von DESY-Forscherinnen und -Forschern gelöst. Sie entwickelten eine neue Methode, welche die gleichzeitige Bestimmung der Parameter des Standardmodells und der Kopplungen einer möglichen Neuen Wechselwirkung ermöglicht.

Als Grundlage zur Bestimmung der Standardmodel-Parameter nutzten sie die Daten aus Experimenten am HERA-Beschleuniger, welche die weltweite Referenz für die Struktur des Protons sind. Bei der kombinierten Interpretation der Messungen von HERA und CMS verwendete das Team außerdem ein für die HERA-Analysen entwickeltes Instrument, die einzigartige Protonstruktur Analyseplattform xFitter.

Zum ersten Mal konnten die Struktur des Protons und gleichzeitig eine minimale Energie bestimmt werden, ab welcher eine mögliche neue Kraft, die nicht durch das Standardmodell beschrieben wird, auftreten könnte. Dabei wurde die starke Kopplungskonstante mit einer Genauigkeit von etwa 1.5% bestimmt - das ist bisher die präziseste Einzelmessung an einem Hadronenbeschleuniger.

Diese Arbeit wurde durch Helmholtz Projekt „Fundamental couplings at the precision frontier” unterstützt.


Originalpublikation

Measurement and QCD analysis of double-differential inclusive jet cross sections in proton-proton collisions at √ s = 13 TeV; CMS Collaboration, High Energ. Phys. 2022, 142 (2022). DOI: http://dx.doi.org/10.1007/JHEP02(2022)142

Weitere Informationen

CERN-News zur Publikation (auf Englisch): https://cms.cern/news/jets-all-trades-constraining-standard-model-and-beyond