Die vielen Gesichter der Masse des Top Quarks

DESY-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen Daten von CMS zum besseren Verständnis von einem der fundamentalen Bausteine unserer Materie

Darstellung einer Kollision im MS-Detektor, bei der ein Top-Anti-Top-Quarkpaar entstanden ist. Bild: CMS / CERN

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von DESY haben eine neue Art entwickelt, verschiedene Aspekte der Masse des Top-Quarks zu mit bisher unerreichter Genauigkeit zu messen. Außerdem konnten sie beim Top Quark zum ersten Mal einen fundamentalen Quanteneffekt, das sogenannte „Laufen“ der Masse, experimentell nachweisen. Sie nutzten dafür Kollisionsdaten vom Large Hadron Collider LHC am Forschungszentrum CERN in Genf, die mit dem CMS-Detektor aufgezeichnet wurden. DESY beteiligt sich mit einer Gruppe von über 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am internationalen CMS-Projekt und übernimmt dort zentrale Aufgaben in der Datenanalyse und der Detektorentwicklung.

Das Top-Quark ist dabei ganz besonders interessant für die Forscherinnen und Forscher. Es ist das mit Abstand massereichste aller Quarks. Quarks sind subatomare Teilchen, die zusammen mit den Leptonen, zu denen zum Beispiel das Elektron gehört, die Grundbausteine für die uns bekannte Materie bilden. Es gibt insgesamt sechs verschiedene Sorten von Quarks. Es ist deshalb besonders wichtig, die Masse des Top-Quarks genau zu kennen, weil sie über die Wechselwirkung des Top-Quarks mit dem Higgs-Teilchen einen direkten Einfluss auf die Stabilität unseres Universums hat. Je genauer wir sie kennen, desto präziser sind unsere Vorhersagen über die Entwicklung des Universums.

Die bisherigen Top-Quark Messungen am LHC tragen alle dazu bei, diese Masse genau zu bestimmen. In Proton-Proton Kollisionen am LHC werden die Top-Quarks hauptsächlich zusammen mit ihren Anti-Teilchen, den Anti-Top-Quarks, in einer sogenannten Paarproduktion erzeugt. Der DESY-CMS Wissenschaftler Oleksander Zenaiev hat einen neuen Ansatz entwickelt, um die Masse der Top-Quark Paare aus ihren Zerfallsprodukten zu rekonstruieren. Anhand von fast 200 000 solchen Ereignissen konnte er eine sehr genaue Messung der Top-Quark Masse erzielen.

Interessanterweise konnte er dabei auch mehr über das Kollisionsobjekt selbst, das Proton, lernen, und dabei Arbeit fortsetzen, die bei DESY am HERA-Beschleuniger gemacht wurde. Top-Quark-Paare werden am häufigsten bei Kollisionen von zwei Gluonen erzeugt. Gluonen sind die Austauschteilchen der starken Kraft und ihre Energie ist für die Masse des Protons verantwortlich. „Unsere Messungen helfen uns insbesondere dabei zu verstehen, wie viel Energie die Gluonen im Proton tragen, was eine Voraussetzung ist, die verschiedene Prozesse in Proton-Proton Kollisionen am LHC richtig zu interpretieren“, sagt DESY-Forscher Olaf Behnke.

Außerdem helfen die Analysen dabei, herauszufinden, wie stark die starke Kraft, eine der vier fundamentalen Kräfte im Universum, wirklich ist. Das alles wird in die Berechnungen einfließen, die LHC-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler nutzen, um Kollisionen im Vorwege theoretisch vorauszusagen. „Dies ist nicht nur die erste experimentelle Analyse dieser Art, sondern die liefert auch den bisher präzisesten Wert für einen bestimmten Parameter der Top Quark-Masse“, sagt Oleksander Zenaiev. Solche Messungen sind wegweisend für das zukünftige Top-Quark-Physikprogramm am LHC.

Außerdem konnte das DESY-CMS-Team mit Unterstützung der Theoriegruppe der Uni Hamburg zum ersten Mal die Energieskala-Abhängigkeit, das sogenannte “Laufen” der Top-Quark-Masse, experimentell nachweisen. Hierfür wird eine am DESY entwickelte neue Analysemethode verwendet. Die Forscherinnen und Forscher sehen tatsächlich, dass sich die Top- Quark-Masse bei Erhöhung der Energie reduziert. „Damit ist ein fundamentaler Quanteneffekt, die Energieskala-Abhängigkeit der Quarkmassen, für das massivste Elementarteilchen bestätigt“, freuen sich die Forscher Matteo Defranchis, Katerina Lipka und Sven-Olaf Moch. Für die Durchführung dieses Projekts haben die Wissenschaftler eine PIER-Sonderförderung in 2016 bekommen.