Gammateleskop H.E.S.S. entdeckt drei der leuchtstärksten Gammaquellen in der Nachbargalaxie der Milchstraße

Das Gammastrahlen-Observatorium H.E.S.S. (High Energy Stereoscopic System) stellt erneut sein großes Entdeckerpotenzial unter Beweis: In der Großen Magellanschen Wolke wies es extrem leuchtstarke Höchstenergie-Gammastrahlenquellen nach. Es handelt sich um drei verschiedenartige Objekte, nämlich den Pulsarwindnebel des stärksten je beobachteten Pulsars, einen extrem intensiv strahlenden Supernova-Überrest und eine sogenannte Superschale – ein 270 Lichtjahre großes schalenförmiges Gebilde, aufgeblasen von mehreren Supernovae und Sternen. Damit gelang es zum ersten Mal, in einer fremden Galaxie gleich mehrere sternähnliche Gammastrahlenquellen bei höchsten Energien zu beobachten. Zugleich ist die Superschale der erste nachgewiesene Vertreter einer neuen Klasse von Höchstenergie-Gammastrahlenquellen. Ihre Ergebnisse präsentiert die internationale H.E.S.S. Collaboration in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals „Science“.

„In 210 Stunden Messzeit haben wir mit den H.E.S.S.-Teleskopen drei grundverschiedene Quellen hochenergetischer Gammastrahlung auflösen können“, sagt H.E.S.S.-Sprecher Prof. Christian Stegmann (DESY). „Das zeigt, was für ein riesiges Entdeckungspotenzial in der Nutzung kombinierter Systeme von Spiegelteleskopen steckt.“

Kosmische Teilchenbeschleuniger, vor allem Supernova-Überreste und Pulsarwindnebel, also Endprodukte massereicher Sterne, sind Quellen sehr intensiver, höchstenergetischer Gammastrahlung. Sie beschleunigen geladene Teilchen auf extreme Geschwindigkeiten. Treffen diese auf das sie umgebende Gas oder Licht, entsteht die Gammastrahlung. Höchstenergetische Gammastrahlen aus dem Kosmos können mit hochempfindlichen Messgeräten auf dem Erdboden beobachtet werden. Beim Eintritt in die Atmosphäre verursachen sie Kaskaden geladener Sekundärteilchen, sogenannte Teilchenschauer. Diese emittieren extrem kurze, bläuliche Lichtblitze (Cherenkov-Licht), die mit großen Spiegelteleskopen und schnellen Lichtsensoren nachgewiesen werden.

Die Große Magellansche Wolke (engl: Large Magellanic Cloud, LMC) ist eine Zwerg-Satellitengalaxie unserer Milchstraße in einer Entfernung von ungefähr 170 000 Lichtjahren. In ihr entstehen ständig neue Sterne, und sie beherbergt zahlreiche massereiche Sternhaufen. Die Rate, mit der neue massive Sterne gebildet werden und am Ende ihres Lebens als Supernovae explodieren, ist in der LMC im Verhältnis zu ihrer Masse fünf Mal höher als in der Milchstraße. Nicht zuletzt deshalb beobachten die Wissenschaftler der H.E.S.S. Collaboration dieses kosmische Objekt ausgiebig. Sie untersuchen dessen höchstenergetische Gammastrahlung, um den Mechanismus der Teilchenbeschleunigung in jungen Sternexplosionen genau zu verstehen.

Insgesamt 210 Stunden haben die Astroteilchenphysiker die H.E.S.S.-Teleskope auf die größte Sternentstehungsregion in der LMC gerichtet, den Tarantelnebel. Dabei gelang es ihnen zum ersten Mal, gleichzeitig mehrere Quellen höchstenergetischer Gammastrahlung in einer Galaxie außerhalb der Milchstraße räumlich aufgelöst abzubilden; dazu noch drei verschiedenartige, extrem energiereiche Objekte.

Bei der sogenannten Superschale „30 Dor C“ handelt es sich um die größte bekannte Röntgenstrahlung emittierende Schale, die wahrscheinlich durch mehrere Supernova-Explosionen und starke Sternenwinde entstanden ist. Bisher war unklar, ob Superschalen zusätzlich zu einzelnen Supernova-Überresten kosmische Strahlung produzieren. Die Ergebnisse von H.E.S.S. zeigen, dass diese Superschale eine Quelle hochenergetischer Teilchen ist, mit denen sie gefüllt ist. 30 Dor C ist damit der erste nachgewiesene Vertreter einer neuen Klasse von Höchstenergie-Gammastrahlenquellen.

Der von den H.E.S.S.-Teleskopen beobachtete Pulsarwindnebel trägt die Nummer N 157B. Pulsare sind hoch magnetisierte, schnell rotierende Neutronensterne, die einen Wind ultrarelativistischer Teilchen emittieren und so einen Nebel bilden. Das bekannteste Exemplar ist der Krebsnebel, eine der hellsten Quellen am Hochenergie-Gammahimmel. Der Pulsar des Nebels N 157B ist in vielerlei Hinsicht ein Zwilling des sehr starken Krebspulsars in unserer eigenen Galaxis. Allerdings leuchtet N 157B im höchstenergetischen Gammalicht rund zehnmal heller als der Krebsnebel. Verantwortlich dafür sind das schwächere Magnetfeld in N 157B und das intensive Sternenlicht aus benachbarten Sternentstehungsgebieten, die beide die Erzeugung hochenergetischer Gammastrahlung fördern.

Der Supernova-Überrest N 132D ist bereits als helles Objekt im Radiowellen- und Infrarotbereich bekannt. Die jüngsten H.E.S.S.-Messungen zeigen, dass dieses Objekt außerdem einer der ältesten – und stärksten – Supernova-Überreste zu sein scheint, der noch im höchstenergetischen Gammalicht leuchtet. Er ist zwischen 2500 und 6000 Jahre alt und immer noch heller als die stärksten Supernova-Überreste in der Milchstraße, obwohl Modelle vorhersagen, dass in diesem Alter die Expansion der Supernovaschale schon so langsam sein sollte, dass sie kein effizienter Teilchenbeschleuniger mehr ist. „Die Ergebnisse bestätigen die Vermutung aus bisherigen Beobachtungen mit H.E.S.S., dass Supernova-Überreste wesentlich leuchtstärker sein können als bisher angenommen“, sagt DESY-Forscher Stefan Ohm, der maßgeblich an der Interpretation und Modellierung der LMC-Daten mitgearbeitet hat. Für ihre Messungen derartig dicht benachbarter Objekte hatten die Wissenschaftler insbesondere die Methoden zur Genauigkeit der Auflösung der Richtung, aus der die Gammastrahlung kommt, deutlich verbessert. Dies wird auch geplanten zukünftigen Experimenten der Astroteilchenphysik zugute kommen. „Stellen Sie sich nur vor, was wir mit dem viel empfindlicheren Cherenkov Telescope Array (CTA) in ein paar Jahren sehen werden!”, schwärmt Ohm.

Eine Elektronik-Modernisierung, die derzeit bei DESY in Zeuthen vorbereitet wird, wird ab 2016 die Leistungsfähigkeit des H.E.S.S.-Teleskopsystems weiter verbessern. Für die weitere Zukunft planen die Wissenschaftler das Cherenkov Telescope Array (CTA), das ab 2020 noch empfindlichere und höher aufgelöste Gammalicht-Bilder der LMC liefern soll. Auf der Wunschliste der Wissenschaftler für CTA steht diese Galaxie als wichtiges Beobachtungsobjekt weit oben.

 

Originalpublikation
"The exceptionally powerful TeV gamma-ray emitters in the Large Magellanic Cloud", by the H.E.S.S. Collaboration, DOI: 10.11.26/science.1261313

 

Das High Energy Stereoscopic System

In der H.E.S.S. Collaboration arbeiten Wissenschaftler aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Namibia, Südafrika, Irland, Armenien, Polen, Australien, Österreich, Holland und Schweden zusammen, die von ihren jeweiligen Ländern und Institutionen unterstützt werden.

Die H.E.S.S.-Spiegelteleskope stehen in Namibia, im Südwesten Afrikas. Das System aus vier Teleskopen mit 13 Metern Durchmesser, das kürzlich mit dem riesigen 28-Meter-H.E.S.S. II-Teleskop ergänzt wurde, ist eines des empfindlichsten Nachweissysteme für höchstenergetische Gammastrahlen. Bei deren Eintritt in die Erdatmosphäre entstehen kurzlebige Teilchenschauer. Die H.E.S.S.-Teleskope registrieren die schwachen bläulichen Blitze, die die Teilchenschauer aussenden (genannt Cherenkov-Licht, einige Nanosekunden kurz), indem sie das Licht mit ihren großen Spiegeln sammeln und es auf die extrem empfindlichen Kameras reflektieren. Jedes Bild zeigt die Himmelsposition eines einzelnen Gammaphotons, und die gesammelte Lichtmenge entspricht seiner Energie. Photon für Photon kann H.E.S.S. so Karten der astronomischen Objekte im Gammalicht erstellen.

Die H.E.S.S.-Teleskope sind seit Ende 2002 in Betrieb; zum 10-jährigen Bestehen im September 2012 hatten die Teleskope in 9415 Beobachtungsstunden 6361 Millionen Luftschauer gemessen. H.E.S.S. hat die Mehrheit der etwa 150 bekannten kosmischen Objekte, die höchstenergetische Gammastrahlen emittieren, entdeckt. 2006 erhielt das H.E.S.S.-Team den Descartes-Preis der Europäischen Kommission und 2010 den Rossi-Preis der American Astronomical Society. 2009 reihte eine Studie H.E.S.S. in die Liste der zehn wichtigsten Observatorien weltweit ein.

H.E.S.S.-Homepage